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Der Feigling

Der Feigling

Titel: Der Feigling
Autoren: Hans Gruhl
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Straße hinunter. Nichts
erregte seinen Verdacht während der zehn Minuten bis zu Willys Haus.
    Vor der Tür blieb er stehen, wartete
kurz und drückte auf die Klingel. Er griff in die Tasche, fühlte nach den
beiden kleinen Schlüsseln. Als er zum zweitenmal läutete, zog er langsam die
Hand heraus, tat so, als drückte er gegen den Türknopf, und schloß mit
schneller Bewegung auf.
    Vielleicht hatte es so ausgesehen, als
wäre die Tür durch den elektrischen Öffner aufgegangen. Vielleicht auch nicht.
    Er drückte die Tür hinter sich zu. Es
war vollständig dunkel und still. Er tastete an der Wand herum. Das
Treppenlicht warf einen gelblichen Schein herunter.
    Langsam ging er den Gang vor bis zur
Treppe. Die Stufen waren aus Kunststein, er stieg mit leisen, gleichmäßigen
Schritten nach oben.
    Willy wohnte im zweiten Stock in der
rechten Wohnung. Der Feigling überlegte, ob ihn jemand auf dem Weg zum Haus
erkannt haben könnte. Nicht wahrscheinlich. Ebenso war nicht anzunehmen, daß
oben jemand war — außer Willy. Vielleicht war die Wohnung leer, sie konnten
Willy auch woanders erwischt haben. Aber er dachte an die Warnung des Meisters.
Aufpassen konnte nicht schaden.
    Im ersten Stock blieb er stehen und sah
sich die Namensschilder an den Türen an. Er hatte sich jetzt an die Stufen
gewöhnt. Als die Lampe über ihm erlosch, ging er leise auf Zehenspitzen weiter.
Er nahm die Lignose heraus. Es knackte kaum hörbar, als er den vorderen Bügel
zurückzog.
    Dann erreichte er die Tür. Ohne jedes
Geräusch tastete er nach dem Schloß, schob den Schlüssel hinein. Bis jetzt
hatten sie ihn kaum hören können. Aber das Schloß schnappte leise, es war nicht
anders zu machen.
    Der Feigling stieß die Tür auf. Es war
kein Licht dahinter. Sie knarrte nicht.
    Er wartete neben der Tür hinter der
Mauer. Es war schon passiert, daß eine Sprengladung hochgegangen war beim
Öffnen einer Tür. Alles war schon passiert.
    Nichts geschah. Der Feigling ging auf
die Knie hinunter und kroch in den Korridor von Willys Wohnung. Er blieb dicht
an der Wand. Als er weit genug war, drückte er die Tür zu. Wieder schnappte das
Schloß. Das war alles. Er legte sich flach auf den Boden. Er kannte Willys
Wohnung genau. Rechts war die Küche, geradeaus das Wohnzimmer. Links das
Schlafzimmer mit einem kleinen Bad dahinter. Bescheiden, nicht zu teuer. Die
Zentrale mußte sparen, sie bezahlte alle Wohnungen, auch seine, in der Barbara
jetzt saß.
    Es dauerte lange, bis sich seine Augen
an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Dann sah er einen Schimmer, ein paar Meter
weg, ein fahles, unendlich mattes Rechteck von Licht. Es war der Glaseinsatz in
der Tür zum Wohnzimmer. Der Lichtschein fiel von der Straße her durch das
Fenster. Willy hatte die Vorhänge nicht zugezogen. Unangenehm.
    Der Feigling kroch weiter, hielt mit
der rechten Hand den Revolver und robbte auf beiden Ellenbogen. Der Läufer war
aus rauhen Kokosfasern. Auch billig.
    Nach kurzer Zeit stieß er an das
Holzgestell des Garderobenständers. Er fühlte den Stoff eines Trenchcoats.
Willys Mantel. Weiter hing nichts da. Er schob sich an dem Ständer vorbei.
    Dann wartete er und holte mit
vorsichtiger Bewegung eine kleine Lampe aus der hinteren Hosentasche.
    Es war unklug, zuerst im Wohnzimmer
nachzusehen, wenn dort die Fenster nicht abgedunkelt warten. Das Schlafzimmer
ging auf den Hof hinaus. Es konnte auch einer im Hof stehen und warten, aber
vielleicht hatte Willy dort alles zugezogen.
    Er kroch nach links um die Ecke des
Ganges. Seine Hände stießen an das Holz der Tür. Er richtete sich halb auf,
drückte die metallene Klinke nach unten. Die Tür schwang zurück mit der
gleichen Lautlosigkeit wie die vorige.
    Kein Lichtschimmer. Alles war
pechschwarz. Die Luft roch schwer und dumpf. Wahrscheinlich waren die Fenster
geschlossen. Drei Tage schon.
    Der Feigling blieb regungslos. Er hielt
den Atem an. Mit aller Anspannung lauschte er. Er hörte keine Atemzüge.
    Er ließ sich wieder zu Boden, kroch
schnell und ohne besondere Vorsicht ins Zimmer. Er hob den Revolver und hielt
die Taschenlampe weit nach links von sich. Es war soweit.
    Der Lichtkegel flirrte durch das
Zimmer. Der Feigling wartete auf die Stimme. Auf Mündungsfeuer oder das hohle
Plopp eines Schalldämpfers. Es war der alte Trick, in einem dunklen Zimmer auf
jemanden zu warten, sie kannten ihn alle.
    Er hörte nichts. Er knipste die Lampe
aus, kroch schnell weiter nach rechts. Es konnte noch kommen. Anfänger waren
sie
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