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Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin
Autoren: Boris Akunin
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schöner, berühmter Frauen. Zwar gab es auch Männer, aber das schöne Geschlecht (was hier nicht als Reverenz, sondern im wörtlichen Sinn gemeint ist) dominierte eindeutig. Ein paar Schneeflocken kamen langsam vom trauerverhängten Himmel geflogen und setzten sich effektvoll auf einen Zobelkragen oder schmolzen auf einer gepflegten, tränennassen Wange.
    Die Witwe nahm nicht teil und konnte das auch nicht. Erstens, weil eine Patientin aus der geschlossenen Abteilung der psychiatrischen Klinik selbst dann nicht herausgelassen wird, wenn es um die Beerdigung des eigenen Mannes geht. Und zweitens, weil eine Mörderin nichts am frischen Grab ihres Opfers zu suchen hat.
    Die Beileidsbekundungen nahm die Tochter entgegen, die zugleich die Erbin des Verstorbenen war. Ein kleines Mädchen mit einem strengen, blassen Gesicht stand an dem mit teuren Blumen übersäten Palisandersarg und hörte mit ernstem Ausdruck zu, was ihr die schluchzenden Schönheiten ins Ohr flüsterten. Den einen gab sie etwas zur Antwort, den anderen nickte sie einfach zu. Die Beileidsbekundungen zogen sich hin, so dass sich vor dem Mädchen eine lange Schlange aufgebaut hatte.
    Überall hörte man Weinen, tragisch zurückhaltendes bis zu offen hysterischem.
    Es ist bekannt, dass ein plötzlicher, insbesondere ein unter dramatischen Umständen eingetretener plötzlicher Tod die Phantasie stets stärker bewegt als ein friedliches Ende. Und dieser Verstorbene hatte unsere Welt auf extrem effektvolle Weise verlassen: Dass die geliebte Ehefrau einem im Schlaf mit dem Skalpell die Kehle durchschneidet, so etwas kommt nicht alle Tage vor. Aber nur das Mitleid mit einem jäh abgerissenen fremden Leben kann nicht einen solchen Sturm der Trauer auslösen. So inbrünstig beweint man nur sich selbst, dachte Nicholas, der als Letzter in der Schlange stand.
    Er hatte sich – man kann wohl sagen – illegal zu der Trauerfeier aus dem Haus gestohlen. Er hatte seiner Frau erzählt, er hole Valja Glen in Scheremetjewo ab, der sich in einer Klinik in Florida eine neue Nase hatte machen lassen, eine noch schönere als vorher. Wenn Altyn von der Beerdigung gewusst hätte, wäre sie bestimmt zum Friedhof mitgekommen, aber nicht, um Blumen am Grab niederzulegen, sondern, um in den Sarg zu spucken. Das hätte sie glatt fertig gebracht. . .
    Die Schlange bewegte sich langsam vorwärts. Die Dame, die vor Fandorin stand, trat zu der Tochter des Verstorbenen. Als sie ihre dunkle Brille abnahm, erkannte Nicholas in ihr eine von allen angehimmelte Schlagersängerin.
    »Miranda, meine Liebe«, sagte die Diva schluchzend, »ist das wahr? Haben Sie es wirklich gefunden? Mein Sonnenschein, ich alle vor Ihnen auf die Knie, Ehrenwort!«
    »Aber bitte nicht hier, ja?«, antwortete das junge Geschöpf.
    »Jaja, natürlich!« Die Sängerin berührte den Ellenbogen des Mädchens mit zitternder Hand. »Mir ist nichts dafür zu schade. . . Sie verstehen mich doch hoffentlich? Wenn nur noch wenige Präparate übrig sind und es nicht für alle reicht, bezahle ich mehr. Mirandotschka, Miranda Miratowna!«
    »Robertowna«, verbesserte die Erbin brüsk und fasste die Diva an der Schulter, um ihr zu bedeuten, sie müsse jetzt gehen.
    »Dann darf ich also anrufen?«, fragte sie angeschlagen und wandte sich ab.
    Nicholas stand vor Mira, blickte sie an und war erstaunt, wie stark sich der Ausdruck ihrer Augen in diesen paar Tagen geändert hatte.
    »Warum › Robertowna ‹ ?« fragte er schließlich.
    »Ich habe meinen früheren Vaters- und Familiennamen wieder angenommen. Miranda Robertowna Krasnokommunarskaja, das klingt besser als Miranda Miratowna Kuzenko.«
    »Ich verstehe . . . Was wollte sie von dir?«
    Mira verzog grinsend die Mundwinkel und sagte:
    »Bei diesen gerupften Hühnern hat sich das Gerücht verbreitet, ich hätte in Papas Safe ein Geheimrezept oder eine Anleitung dazu mit den Ingredienzien gefunden. Nun scharwenzeln sie um mich herum.«
    »Hast du es denn wirklich gefunden?«
    Sie flüsterte ihm ins Ohr:
    »Von wegen, gar nichts habe ich gefunden. Aber sollen sie doch hinter mir her rennen. Ich hole Professor Lorenzetti aus Italien in meine Klinik. Er wird die Damen schon irgendwie zurechtwalken. Außerdem richte ich eine Forschungsgruppe ein, die Papas Methode rekonstruieren soll. Das wird ein paar Jahre dauern, so dass ein paar von diesen Omas es nicht mehr erleben werden, aber das macht ja nichts. Wenn das Ergebnis vorliegt, werden die Visagen der neuen Modepüppchen aus
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