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Der Falsche Krieg

Titel: Der Falsche Krieg
Autoren: Olivier Roy
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amerikanische Entscheidung, den Irak zu besetzen, wenn man einmal den Wunsch ausklammert, »die Sache zu beenden«, die man mit dem ersten Golfkrieg begonnen hat? Die Antwort lautet: ein kohärentes ideologisches Projekt, zusammengefasst im Programm des »Großraums Mittlerer Osten«.

Das Projekt einer Reform des Großraums Mittlerer Osten
    Die Bush-Administration ist genau wie ihre Wählerschaft nicht homogen. Zwischen der christlichen Rechten, den Neokonservativen, den Pragmatikern, den Isolationisten und interventionistisch gesinnten Republikanern wie Rumsfeld gibt es große Meinungsverschiedenheiten. Bush hat seine erste Amtszeit mit einem unilateralistischen und relativ isolationistischen Kurs begonnen: Die Vereinigten Staaten intervenierten in Übersee nur punktuell und nur dann, wenn es darum ging, ihre strategischen Interessen zu verteidigen. Bush wandte sich von den großen Konzepten ab, die in den neunziger Jahren die Grundlage des außenpolitischen
Handelns darstellten: weder state building noch nation building, und keine Einmischung in den Friedensprozess. Sein (bis Dezember 2006 amtierender) Verteidigungsminister Donald Rumsfeld nahm sich die Reform der amerikanischen Streitkräfte vor mit dem Ziel, sie flexibler zu machen und besser für kurzfristige Operationen zu rüsten, die zwar durchaus massiv sein können, aber dem Grundsatz shock and awe, Schock und Entsetzen, folgen. Bei diesem Ansatz spielt die Technologie, das heißt überlegene Feuerkraft und Spezialeinheiten, die entscheidende Rolle, was im deutlichen Kontrast zu dem massiven Einsatz von Bodentruppen und schweren Panzern im ersten Golfkrieg steht. Es geht nicht um dauerhafte Gebietsbesetzungen, Anti-Guerilla-Kriegführung oder nachhaltiges politisches Handeln. Das Ziel ist im Konfliktfall die totale, rasche Vernichtung des Gegners. Kurzum, das auf diese Weise geschaffene Instrumentarium ist ziemlich genau das Gegenteil dessen, was die Situation im Irak heute erfordert, obwohl es seine Rolle in der militärischen Kampagne, die zum Sturz von Saddam Hussein führte, im engeren Sinn perfekt erfüllt hat. 7
     
    Die Neokonservativen haben als Einzige nach dem 11. September ein »konstruktives« Programm vorgeschlagen, das mit den Anschauungen des Präsidenten und Rumsfelds übereinstimmte. Auf die zügig durchzuführende Militäroperation sollte eine ebenfalls kurze Phase der Besetzung folgen, ähnlich wie 1945 in Deutschland und Japan. In der Zeit sollte das irakische
Volk Gelegenheit haben, demokratische Strukturen aufzubauen und eine Regierung zu wählen, die sich um das Land kümmern und eine Politik im Sinne der Amerikaner verfolgen würde, weil die Iraker den Amerikanern dankbar sein würden, dass sie ihr Land von der Diktatur befreit hatten. Es ging also darum, eine neue Ordnung aufzubauen, aber ohne eine dauerhafte Besetzung des Landes. Die einzige wirklich langfristige Verpflichtung sollte finanzieller Natur sein, nach dem Vorbild des Marshall-Planes aus den späten vierziger Jahren. Insofern gibt es große Übereinstimmungen mit der Nachkriegssituation 1945, was erklärt, warum die Bush-Administration schließlich die neue globale Bedrohung mit dem Nationalsozialismus und Kommunismus gleichsetzte. Wir werden hier nicht die Fehler analysieren, die bei der Besetzung gemacht wurden, insbesondere seitens der »Coalition Provisional Authority« unter Paul Bremer; das haben bereits mehrere amerikanische Autoren getan. 8 Wir werden vielmehr die konzeptuellen Fundamente dieser Politik untersuchen, die weit mehr betreffen als den Fall Irak.
    Die Neokonservativen bestreiten rundweg jegliche Verantwortung des Westens für die Wurzeln der islamistischen Gewalt. Ihrer Auffassung nach liegt die Quelle der Gewalt in der strukturellen Verzögerung der Entwicklung arabischer Gesellschaften, womit vor allem humanitäre, politische und wirtschaftliche Aspekte gemeint sind. Das erkläre, so sagen sie, warum der Bericht des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) über die Entwicklung in der arabischen Welt,
fertiggestellt 2002 unter der Leitung des Ägypters Nader Fergany, in diesen Ländern so großen Anklang gefunden habe. In dem Bericht werden alle Rückstände hinsichtlich der Alphabetisierung, dem Publikationswesen, der Verbreitung des Internet sowie der Stellung der Frauen aufgelistet und auf strukturelle Gründe zurückgeführt, seien sie politisch oder kulturell bedingt. Festzuhalten ist, dass der zweite Bericht derselben Gruppe aus
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