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Der Falsche Krieg

Titel: Der Falsche Krieg
Autoren: Olivier Roy
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islamistischen Bewegungen nicht gleich verteufelt - zumindest am Anfang nicht. Sie preisen die Zivilgesellschaft und Reformen. Die Neokonservativen haben den Gedanken bis ins Extrem getrieben, dass die westlichen Werte universell sind und verbreitet werden müssen, notfalls durch direkte Intervention. In diesem Sinne verbindet sie mehr mit einem linken Fortschrittsglauben, der jeden kulturellen Relativismus ablehnt, als mit einer kolonialistischen Einstellung, die darauf bedacht ist, die bestehende Ordnung zu erhalten.
    In der weltweiten Debatte über die amerikanische Intervention im Irak stehen sich nicht die Europäer als pragmatische Realisten und die Amerikaner als dogmatische Ideologen gegenüber. Tatsächlich hat jeder seine großen Ideen, seine Vorurteile und seine ideologischen Bezugspunkte zum Besten gegeben. In Frankreich lagen Vertreter der Linken wie Bernard Kouchner plötzlich auf einer Linie mit amerikanischen Neokonservativen: Beide Seiten befürworteten eine Politik, die das vor 20 Jahren entdeckte Recht auf Einmischung auf die Spitze treibt, ein Konzept, mit dem damals die Gleichgültigkeit der Großmächte gegenüber dem Schicksal notleidender Völker gegeißelt wurde.
    Umgekehrt geriet die antiamerikanische, die Interessen der Dritten Welt vertretende Linke in die Defensive. Sie musste die Gültigkeit des neokonservativen Diskurses bestreiten und sah sich dem Vorwurf ausgesetzt, sie rede nur von Freiheit, um in Wahrheit die Ölinteressen der Vereinigten Staaten besser zu schützen. Diese Linke sah sich auf einmal dazu gedrängt, für wenig demokratische
Bewegungen einzutreten (von Kuba über Saddam Hussein bis zu den Taliban), weil sie angeblich die Souveränität und den Widerstand gegen den Imperialismus verkörperten. Zwar beharrt sie auf der Tatsache, dass die amerikanische Politik in erster Linie neoliberal ist und die wirtschaftliche Privatisierung und Globalisierung vorantreibt, aber sie hat Schwierigkeiten damit, eine andere Alternative vorzuschlagen als die Unterstützung hochgradig autoritärer Bewegungen.
    Die Souveränitätsverfechter aller Couleur haben dem Recht auf Einmischung die Achtung des Völkerrechts entgegengesetzt, nicht etwa um die Demokratie zu verteidigen, sondern im Namen der Staatsräson, und allgemein geht es dabei auch um die Vorstellung, dass die Welt auf dem Gleichgewicht der Kräfte ruhen sollte und nicht auf einem utopischen gerechten System.
    Und schließlich sind Linke und Rechte gleichermaßen gespalten in ihrem Urteil über den Islamismus. Die identitäre christliche Rechte wie auch die eher laizistisch als libertär und eher republikanisch als demokratisch ausgerichtete Linke haben beide bereitwillig in das Lied vom Kampf gegen die islamische Bedrohung eingestimmt. 2 Der Kreuzzug und der Dschihad haben Konjunktur, während man angesichts der Kräfte des Bösen wieder vermehrt von der »freien Welt« spricht. Unweigerlich wirft die Diskussion über die Folgen des 11. September 2001 und die politische Reaktion auf den Terrorismus die Frage auf, wie wir es mit dem Islam halten sollen.
    Mehr denn je sind gesellschaftliche Anliegen und
strategische Debatten miteinander verflochten, und das erklärt wohl den Erfolg der These vom Zusammenprall der Kulturen sowie das Interesse an Theorien, die einen angeblichen vierten Weltkrieg oder den »Islamofaschismus« beschwören. Doch wie wir sehen werden, verhindert eine solche Globalisierung der Bedrohung jede rationale Strategie und überlässt das Feld einer inhaltsleeren, emphatischen Rhetorik, die in erster Linie den internen Debatten westlicher Gesellschaften dient. Die Frage nach der Immigration und nach der Rolle des Islam im Westen wird »externalisiert« und auf den Mittleren Osten projiziert, der jedoch einer ganz anderen Logik gehorcht.
    Der Konflikt zwischen Israel und Palästina nimmt in dieser Debatte eine zentrale Stellung ein: Ist er die Hauptursache der Krisen im Mittleren Osten und der islamischen Radikalisierung, oder ist er bloß ein Konflikt unter anderen? Muss man die Lösung dieser Differenzen zur Priorität des außenpolitischen Handelns machen, oder verlieren sie in dem Maße an Bedeutung, wie andere Spannungen sich legen? Oder folgt der Konflikt einer ganz eigenen Logik, losgelöst von anderen Auseinandersetzungen, ähnlich wie der Konflikt zwischen Basken und Spaniern? Wie auch immer die Antwort ausfällt, klar ist, dass allein schon der Bezug auf diesen Konflikt es erlaubt, den Mittleren Osten in
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