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Der Falsche Krieg

Titel: Der Falsche Krieg
Autoren: Olivier Roy
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Nichtregierungsorganisationen übernehmen sie unter dem Druck der Geldgeber oder verschreiben sich einer globalisierungskritischen Vision, die gleichwohl eine Reihe von Konzepten mit den großen Entwicklungsagenturen gemein hat, wie das Misstrauen gegenüber den bestehenden Staaten, eine Stärkung der Zivilgesellschaften, den Ausbau von Mikroprojekten, die Betonung der Frauenfrage und eine pädagogische Einkleidung der humanitären Herangehensweise. Was die Marktwirtschaft, Privatisierung und das Verhältnis von Individuum und Kollektiv betrifft, vertreten die Nichtregierungsorganisationen allerdings eine Gegenposition.
    Die Philosophie des Großraums Mittlerer Osten lässt sich so zusammenfassen: Grundlage einer demokratischen Gesellschaft ist nicht der Staat, sondern sind unternehmerisch gesinnte individuelle Staatsbürger, herausgelöst aus Klientelbeziehungen, Stammesverhältnissen und ethnischen Bindungen, die im Rahmen einer
Marktgesellschaft handeln. Religion wird als persönlicher Glaube praktiziert und nicht aus Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gemeinschaft. Der Staat ist kein Instrument der Entwicklung, und schon gar nicht eins der politischen Konstruktion, sondern ein nachträglicher Regulator, der einer ständigen Kontrolle der Bürger unterworfen ist; seine accountability rührt vor allem daher, dass die Bürger Steuern zahlen.
    Diese in jeder Hinsicht liberale Philosophie, die auf John Locke zurückgeht, ist konstitutiv für das politische Denken in Amerika und durchdringt seit Mitte der neunziger Jahre die Programme der großen internationalen Institutionen (etwa der Weltbank, insbesondere seit dem Amtsantritt von James David Wolfensohn, dem 2006 Paul Wolfowitz nachfolgte). Diese Doktrin hat das Konzept der Zivilgesellschaft als einer Gesellschaft außerhalb des Staates oder vielmehr im Gegensatz zum Staat neu belebt. Sie ruht auf drei Säulen: der Zivilgesellschaft, der Privatisierung und guter Regierungsführung, und zu ihr gehört eine universalistische, an Woodrow Wilson orientierte Sichtweise, die antikulturalistische Züge trägt und insofern gegen Huntington gerichtet ist.
    Die Doktrin wurde in den neunziger Jahren weniger von Think Tanks als vielmehr von Stiftungen wie »Ford« oder »Carnegie« entwickelt, häufig mit finanzieller Unterstützung aus dem Außenministerium. Sie hat Anstoß zu großen Forschungsprogrammen gegeben, die etwa in der von der Ford-Stiftung finanzierten und von Augustus Richard Norton herausgegebenen
Buchreihe »Civil Society in the Middle East« ihren Niederschlag gefunden haben (trotzdem ist Norton den Neokonservativen verhasst, weil er die bedingungslose amerikanische Unterstützung Israels kritisiert). Ziel dieser Untersuchungen ist es, die Faktoren ausfindig zu machen, die eigenständige Demokratisierungsprozesse in Gang setzen könnten, wobei es sich von selbst versteht, dass diese Prozesse auf universellen ethischen und politischen Werten zu fußen haben - mit anderen Worten auf amerikanischen Werten. Die meisten Hilfs- und Entwicklungsprogramme enthalten ein »Frauen«-Dossier, in dem es um die Stärkung der Frauen geht (Frauen als Unternehmerinnen, Frauen als Politikerinnen etc.). Viele Programme machen eine Frauenquote oder bestimmte Maßnahmen zugunsten von Frauen zur Vorbedingung: Zum Beispiel fordern die Entwicklungsprogramme in Afghanistan die gleichgewichtige Vertretung von Männern und Frauen in den dörflichen Gremien, die über die Verteilung der Hilfsleistungen entscheiden (ein solches Maß an Parität gibt es in keiner westlichen Gesellschaft mit Ausnahme von Norwegen). Interessanterweise finden wir hier den Geist des sowjetischen Projekts für die Umgestaltung Mittelasiens aus den dreißiger Jahren wieder: Mangels eines Proletariats kann die Kraft, die die Gesellschaft verändert, nur von der Frau ausgehen. 9
    Diesem Wunsch nach Sozialtechnologie liegt ein pädagogischer Voluntarismus zugrunde, der oft ein wenig naiv erscheint. Man bringt immer neue Programme für Ausbildung und Demokratieerziehung auf den Weg,
für Menschenrechte und die Rechte von Frauen. Die »Ford Foundation« hat in Kairo ein Zentrum errichtet, um das Programm konkret umzusetzen (insbesondere durch Unterstützung des »Ibn Khaldun Center« unter der Leitung von Professor Saad Eddin Ibrahim). Freiwillige Helfer und junge Mitarbeiter westlicher, oft linksorientierter Nichtregierungsorganisationen widmen sich Programmen, deren Philosophie geradewegs dieser neuer
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