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Der falsche Engel

Der falsche Engel

Titel: Der falsche Engel
Autoren: Polina Daschkowa
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hieß es im Dorf, die siebenjährige Waise Wladimir Gerassimow verdanke seine Rettung vor dem sicheren Tod einer taubstummen
     Heilerin, der Lebensgefährtin des Friedhofswächters. Wolodja aber wusste genau: Sie hatte damit nichts zu tun. Gerettet hatte
     ihn der einsame Laut, der nichts weiter gewesen war als das Weinen seiner Großmutter. Ohne das Weinen der Großmutter im Ohr
     hätte er sich in der Finsternis verirrt und wäre gestorben.
    Vollgepumpt mit Schmerzmitteln, kehrte Wladimir nun zurück zu den zottigen Schatten, dem Qualm, dem Knacken der feuchten Holzscheite,
     als wären die letzten fünfzig Jahre nicht gewesen. Zuweilen drang das leise Weinen seiner Frau zu ihm, doch der alte General
     konnte sich nicht wie der siebenjährige Knabe an diesem Faden entlang aus der Dunkelheit tasten.
    Der General war sicher, dass er in dieser Nacht sterben würde, und hatte seine Frau gebeten, bei ihm zu bleiben. Sie saß im
     Sessel, die Beine angezogen, döste, weinte ab und zu und überprüfte alle halbe Stunde, ob er noch atmete.
    Er starb nicht in dieser Nacht. Gegen Mittag öffnete er die Augen, setzte sich auf, sah den pechschwarzen Himmel, hörte ein
     langes Donnergrollen, rief nach Natalja und bat sie, das Fenster zu öffnen. Das laute Rauschen des Regens erschütterte ihn.
     Er stand sogar auf, machte ein paar Schritte, klammerte sich am Fensterbrett fest und spürte, wie Regentropfen sein Gesicht
     trafen.
    In der Wohnung ertönte ein anhaltendes Klingeln. Stimmen drangen zu ihm. Er schleppte sich langsam in den Flur. Dort zog Sergej
     seine nasse Jacke aus. Natalja nahm Pantoffeln für ihn aus dem Schuhschrank. Stas lehnte am Türrahmen und spielte mit seinem
     Feuerzeug.
    »Papa, was soll das? Leg dich wieder hin!«, sagte er, als er den General erblickte.
    »Mir geht es besser«, sagte Wladimir schwach lächelnd. »Guten Tag, Sergej.«
    Zu viert gingen sie ins Wohnzimmer. Der General setzte sich in einen Sessel. Natalja deckte ihn mit einem Plaid zu.
    »Ich glaube, ich muss mit Stas unter vier Augen reden«, sagte Sergej.
    »Ich bin bereit.« Stas stand auf und bleckte nervös die Zähne. »Komm, Bruderherz.«
    »Nein.« Der General schüttelte den Kopf. »Ihr bleibt hier.«
    In seiner Stimme lag etwas Neues, nein, etwas von früher, etwas Festes, Ruhiges, und Nataljas Augen blitzten kurz glücklich
     auf.
    Sergej legte wortlos ein kleines Diktiergerät auf den Tisch und schaltete es ein.
    »Du erinnerst dich also nicht, nein? Na schön, hör zu. In der Nacht damals war ich auf der Baustelle, Kabel klauen … Du bist
     an den Rand der Grube und hast reingesehn. Vielleicht eine Minute lang, dann bist du abgehaun, zur Bahnstation …«
    Als die Aufzeichnung endete, war es eine ganze Weile still.
    »Stas, du musst ein Geständnis schreiben und es zur Staatsanwaltschaft bringen. Du hast zwei Tage«, sagte Sergej langsam.
     »Eine Strafe hast du nicht zu befürchten. Die Sache ist verjährt.«
    »Blödsinn!« Stas lachte. »Papa, Mama, begreift ihr das nicht? Das ist eine Provokation! Ihr wisst doch, ich war krank, ich
     lag mit Fieber im Bett und bin in der Nacht nicht aus dem Haus gegangen! Es gab eine Zeugin, die Kinderfrau. Gar nichts werd
     ich schreiben!«
    »Schrei nicht rum.« Der General runzelte die Stirn und wandte sich an seine Frau. »Natalja, erinnerst du dich, wir beide waren
     damals für eine Woche ins Ferienheim gefahren, nur Maria war hier. Sie war schon achtzig und nahm abends immer ein starkes
     Schlafmittel. Wir beide kamen genau an dem Morgen zurück, ziemlich früh, so gegen neun …«
    »Ja« – Natalja nickte –, »ja, mein Lieber, ich erinnere mich an diesen Morgen. Stas war ganz blass, richtig krank, und sagte,
     er habe in der Nacht vierzig Fieber gehabt und das Bett nicht verlassen können. Im Flur standen seine Turnschuhe, schmutzig
     und durchnässt. Daran klebten Gras und Kalkklumpen.« Natalja erhob sich schwerfällig, ging hinaus und kam gleich darauf wieder
     zurück.

Informationen zum Buch
    Julia ist erfolgreiche Schönheitschirurgin in einer Moskauer Privatklinik. Erst vor kurzem hat sie der berühmten Popsängerin
     Angela das zerschundene Gesicht wieder hergerichtet. Angelas reicher Freund, ein berüchtigter tschetschenischer Mafiaboss,
     hatte sie in einem Anfall von Eifersucht zusammengeschlagen. Auch Julia lebt gefährlich, wenn sie zuviel über ihn weiß. Doch
     damit nicht genug: Eines Tages wird sie sehr nachdrücklich vom Geheimdienst gebeten, in einer
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