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Der falsche Engel

Der falsche Engel

Titel: Der falsche Engel
Autoren: Polina Daschkowa
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nicht?«
    »Alles?«, fragte Sergej, während er den Kaffee umrührte.
    »Ich weiß nicht. Wenigstens einen Teil. Ich kenn mich ja mit euren Banksachen nicht aus« – der Besucher hob die Stimme –,
     »ich weiß nur, dass ich an dieses Konto nicht mehr rankomme. Aber ich brauche dringend Geld.« Plötzlich glitt er geschmeidig
     vom Sofa und kam auf Sergej zu, die Hände noch immer in den Taschen der Jeansjacke. »Egal, davon später, ist doch sonst unhöflich.
     Du bist mit deinen Problemen zu mir gekommen, bei Issa konnten wir nicht in Ruhe reden, und nun quatsche ich dich hier gleich
     mit meinen Problemen voll. Pass auf, der kocht gleich über!«
    Sergej riss den Kaffeekocher vom Herd, der Schaum zischte auf der elektrischen Herdplatte.
    »Willst du was essen, Schamil?«, fragte er, noch immer ohne sich umzuwenden, und spürte, wie die Narben in seinem Gesicht
     juckten und es in seiner Kehle kratzte beim Klang des verhassten Namens.
    »He, mit dir stimmt doch was nicht«, sagte der Tschetschene langsam.
    Er kam ganz dicht heran; Sergej spürte seinen Atem undnahm seinen Geruch wahr. Ismailow roch nach gutem Rasierwasser und Pfefferminzkaugummi. Sein Atem war noch immer ruhig, aber
     seine Stimme klang verändert. Der Akzent war stärker geworden.
    »Ich bin total mit den Nerven runter«, sagte Sergej dumpf, während er mit einem Schwamm den Herd abwischte, »jemand ist hinter
     mir her, Schamil. Ziemlich ernsthaft hinter mir her. Erst die Sprengladung am Auto, dann der Mord an meinem Chauffeur.«
    »Und die Pistole in der Wohnung deiner Freundin, ich erinnere mich, du musst dich nicht wiederholen. Red weiter.«
    »Tja, was weiter? Irgendwer kommt regelmäßig in meine Wohnung und hinterlässt hässliche Spuren, Lappalien, aber ziemlich unangenehm.«
     Sergej sprach hastig und sehr leise.
    Schließlich musste er dem anderen das Gesicht zuwenden. Der Atem hinter ihm wurde immer rascher und angespannter.
    »Gestern zum Beispiel hat mir jemand Glassplitter in die Creme gemischt«, sagte er und lachte verlegen.
    »Was?« Ismailow schnaufte.
    »Na ja, ich creme mir abends immer das Gesicht ein« – Sergej drehte sich abrupt um und stieß auf den bekannten starren Blick
     –, »ich hab trockene Haut, weißt du? Und diese Schweine haben mir Glassplitter in die Creme gerührt. Ich hab mir das Gesicht
     total zerkratzt, siehst du?«
    Wieder trat eine Pause ein. Sergej drehte sich ruhig um, holte Kaffeelöffel und fragte noch einmal: »Willst du nun was essen
     oder nicht?«
    »Nein«, knurrte Ismailow, »wer weiß, vielleicht haben sie dir ja auch was ins Essen geschüttet, wie?« Er lachte herzlich und
     ging zum Sofa zurück.
    »Hör mal, Stas«, sagte er, noch immer lachend, »was seid ihr bloß alle für Trottel, he? Das hier ist doch ein Luxushaus, die
     Jungs unten sind durchtrainiert und bewaffnetund nehmen sich furchtbar wichtig, da traut sich kein Fremder näher ran, sollte man denken. Aber ich bin einfach in die Garage
     gegangen, hab dem Wachmann fünfzig Rubel in die Hand gedrückt und Reklamezettel hinter ein paar Scheibenwischer geklemmt,
     solange er hinsah. Und als er sich mal kurz umdrehte, bin ich schnell zur Treppe. Fünf Minuten später stand ich vor deiner
     Tür. Und keiner hat was mitgekriegt. So kommt man zu Splittern in der Creme und einer Portion Blei in den Schädel. Na schön«
     – er hatte genug gelacht und starrte Sergej jetzt wieder regungslos an –, »also, wer spielt dir solche bösen Streiche?«
    »Möchtest du nun Kaffee, Schamil, oder hast du Angst?«
    »Ja, ja, klar. Da ist kein Gift drin. Wenn sie dich umbringen wollten, wärst du schon längst …«
    Als Sergej mit den beiden Kaffeetassen in der Hand das Zimmer durchquerte, ruhte der Blick des Besuchers auf seiner rechten
     Bademanteltasche.
    »Erzähl mir erst mal, was mit deinem Konto los ist«, sagte Sergej und setzte sich dem Besucher gegenüber in einen Sessel.
    »Ich brauche Kohle, Stas, sofort.« Er nippte am Kaffee. Die rechte Hand steckte noch immer in der Tasche, er hielt die Tasse
     in der linken. »Und ich komme nicht an mein Konto ran. Warum, kann ich dir jetzt nicht erklären, das würde zu lange dauern.
     Früher oder später kläre ich die Sache, aber die Kohle brauche ich heute, verstehst du?«
    »Wie viel?«
    »Etwa hunderttausend. Genauso viel kostet übrigens die Behebung deines Problems. Damit wären wir dann quitt.«
    »So viel habe ich jetzt nicht in bar«, murmelte Sergej nachdenklich, stand auf, ging
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