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Der falsche Engel

Der falsche Engel

Titel: Der falsche Engel
Autoren: Polina Daschkowa
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Villa. Daneben befand sich ein Tennisplatz, dahinter
     ein Pool – von dort drangen Platschen und gedämpftes Frauenlachen herüber.
    Zwei Männer in Tarnanzügen und mit MPi führten Sergej ins Haus.
    In dem halbdunklen großen Raum sah Sergej zunächst überhaupt nichts.
    Ein Wachmann durchsuchte ihn rasch, zog die Pistole unter seiner Achsel hervor und ging tiefer in den Raum hinein.
    »Na so was«, sagte ein rauher, schwerer Bass von dort, »ist ja richtig wie bei den Großen.«
    Inzwischen hatten sich Sergejs Augen an das Halbdunkel gewöhnt. In einem riesigen Sessel am Kamin sah er einen dünnen Mann
     in gestreiftem Bademantel sitzen. Kaum zu glauben, dass er noch keine vierzig war.
    »Hallo, Gerassimow«, sagte der Hausherr, »komm her, setz dich. Ich wollte gerade frühstücken. Leistest du mir Gesellschaft?«
    »Hallo, Michejew.« Sergej nickte. »Danke, da sage ich nicht nein.«
    »Palytsch«, korrigierte ihn der Hausherr, »so heiße ich jetzt. Hast du also meinen Zeugen gefunden, Gerassimow? Das hätte
     ich dir gar nicht zugetraut, ehrlich.«
    »Was blieb mir denn übrig, Palytsch«, seufzte Sergej.
    »Du weißt doch, was du tun sollst. Stand auf dem Zettel. Hast du den verloren?«
    Der Koch brachte ein riesiges Tablett, auf dem neben einer silbernen Kaffeekanne und drei massigen Porzellantassen eine Schüssel
     mit dampfenden Teigtaschen, Kristallschalen mit Honig und Schmand und ein Krug Milch standen.
    »He, was stehst du da wie angewurzelt?«, fragte Michejew, spießte mit der Gabel eine Teigtasche auf, tunkte sie in Schmand
     und schob sie sich in den Mund. »Ist doch interessant – als du mich in Wychino besucht hast, da hast du auf Anhieb und mit
     Freuden geglaubt, dass ich saufe, verkomme und verrecke. Und nun, wo du die wahre Lage der Dinge siehst, wunderst du dich.
     Du bist ein komischer Mensch, Stas.« Er goss sich Milch ein und trank einen Schluck. »Also, was ist mit dem Zettel? Der Zettel,
     Gerassimow, das war eine Art Rezept für dich, gegen alle deine quälenden Leiden und Probleme.«
    Sergej bestrich ohne Hast eine Teigtasche mit Schmand, aß sie, trank Milch nach und sagte: »Mhh, mit Sauerkirschen. Schmeckt
     gut. Weißt du, Palytsch, ich bin inzwischen so erschöpft, dass ich nicht mal mehr lesen kann. Vielleicht erklärst dus mir
     noch mal?«
    Eine Pause trat ein. Sergej spürte, dass jemand hinter ihm stand und ihn ansah.
    Er drehte sich um: In der Tür erblickte er eine hochgewachsene Frau im Bademantel, mit nassen langen Haaren.
    Er begrüßte sie mechanisch: »Guten Morgen, Irina.«
    Sie antwortete nicht. Ihn noch immer anschauend, lief sie barfuß über den Teppich zu ihrem Bruder, setzte sich auf die Armlehne
     seines Sessels und flüsterte ihm etwas ins Ohr.
    Michejew hörte zu, nickte und knackte mit den Fingern.Ein älteres Dienstmädchen in weißer Schürze kam herein und verrückte eine bizarre abstrakte Skulptur, die sich als Stehlampe
     entpuppte. Das Licht schien Sergej ins Gesicht.
    Irina saß inzwischen in einem Sessel und goss sich Milch ein.
    «Ja, du hast recht«, sagte Michejew. »Ich hab mich schon gefragt, was mit ihm nicht stimmt. Aber wirklich gut hingekriegt,
     da kann man nicht meckern. Da hat Papa keine Kosten gescheut. Dabei sieht man noch die Operationsnarben. Na, dann machen wir
     uns noch mal bekannt, mein Lieber.«
    »Sergej Naidjonow«, stellte sich Sergej vor und goss sich Milch ein, »Major des FSB.«
    »Wunderbar!« Michejew lachte. »Und was willst du von mir, Major?«
    »Ich bin eigentlich hier, um mit Oleg Leschtschuk zu sprechen. Aber da ich nun gleich so ein Glück habe, rede ich gern auch
     mit dir, Palytsch, und mit Ihnen, Irina.«
    Michejew nickte. »Sprich.«
    »Warum machen Sie das alles?«, fragte Sergej. »Ich weiß, du hast Mascha Demidowa nicht getötet, Palytsch. Man hat dich zu
     Unrecht eingesperrt. Aber auch Gerassimow hat sie nicht getötet. Es war ein Unfall.«
    »Ein Unfall, sagst du?« Er knackte erneut mit den Fingern und fragte das Dienstmädchen: »Wie siehts aus, ist Oleg schon wach?«
    Sie nickte und entfernte sich. Eine Weile war es still im Zimmer. Schließlich ertönten Schritte, und ein kleiner, gebeugter
     alter Mann in weißer Hose und hellblauem T-Shirt stand in der Tür. Ein schmaler grauer Flaumkranz umrahmte seine glänzende
     Glatze. Seine Arme waren voller Tätowierungen. »Guten Morgen, Palytsch«, sagte er, wobei er sich erschrocken umschaute und
     Sergej nicht zu bemerken schien.
    »Hallo, Fisch.«
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