Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der falsche Engel

Der falsche Engel

Titel: Der falsche Engel
Autoren: Polina Daschkowa
Vom Netzwerk:
um den Tisch herum und griff zum Telefonhörer.
    »Halt!« Ismailow hob warnend die Linke. »Wen willst du anrufen?«
    »Ich will versuchen, dir das Geld zu beschaffen.« Sergej lächelte gutmütig und wählte Raiskis Nummer. »Hallo, Michail, ich
     bins, Stas«, sagte er, als eine verschlafene, wütende Stimme sich meldete, »hab ich dich geweckt? Entschuldige. Ich brauche
     dringend 100   000 in bar.«
    Raiski schwieg verblüfft und atmete nur laut in den Hörer. Gott sei Dank, denn das Telefontischchen stand neben Ismailow,
     und der hatte wie aus Versehen die Mithörtaste gedrückt. Das Atmen des Oberst tönte durchs ganze Zimmer.
    »Michail, ich bin zu Hause, kannst du mir das Geld so schnell wie möglich vorbeibringen?«
    »100   000 Dollar?«, fragte Raiski vorsichtig.
    »Was denn sonst – Rubel?« Sergej lachte nervös. »Wach auf, Michail, wach auf. Ich brauch die Kohle ganz dringend.«
    »Für wen?«
    »Für mich, für mich persönlich! Hör mal, Michail, ich hab jetzt keine Zeit zum Reden. Mach schnell, komm her, ich würd dich
     nicht damit belasten, wenns nicht so dringend wär. Also dann – ich warte.«
    »Ja, ich habe verstanden«, sagte der Oberst mit veränderter Stimme. »Ich fahre gleich los.«
    »Sag mal, wer ist dieser Kerl, dass er auf Anhieb so viel Kohle beschaffen kann?«, fragte Ismailow mit schiefem Grinsen.
    In diesem Moment ging im Flur leise das Schloss, und gleich darauf kam Stas Gerassimow ins Zimmer.
    Zwei Hände mit Pistolen schnellten in derselben Sekunde aus der Tasche. Ismailow und Sergej sahen sich an. Der Tschetschene
     saß auf dem Sofa, Sergej stand rechts neben ihm.
    »Stas«, rief Ismailow leise, »greif dir was Schweres und gib ihm eins über den Schädel.«
    Gerassimow rührte sich nicht. Er stand mitten im Zimmer,zum Ölgötzen erstarrt. Sein Gesicht war weiß und schweißnass.
    »Stas, du brauchst nur eine Flasche aus der Bar zu nehmen«, sagte der Tschetschene, »dann gehst du rüber zu ihm, holst aus
     und ziehst sie ihm über. In einer Minute sind meine Leute hier.«
    »Und in drei Minuten ist das OMON hier«, sagte Sergej.
    »Meine sind schneller«, bemerkte Ismailow, ohne den Blick von Sergej zu wenden.
    »Stas, du solltest besser von hier verschwinden. Keine Angst, er wird nicht schießen. Dafür sorge ich. Geh«, sagte Sergej.
    Sie sprachen beide sehr leise, und keiner von ihnen schaute zu Stas, denn sie wussten: nur ein Sekundenbruchteil, und der
     andere würde als Erster schießen.
    Vom Flur her kam Wasserrauschen; die Badtür klappte.
    »Wer ist da noch?« Ismailows Stimme zitterte leicht. »Stas, wer ist bei dir?«
    Gerassimow schwieg noch immer. Evelina kam herein, maß die Anwesenden mit einem raschen, beunruhigten Blick, packte Stas am
     Arm und zog ihn rückwärts zur Tür.
    »Stehenbleiben!«, rief Ismailow.
    »Raus mit euch beiden!«, rief Sergej.
    In Ismailows Tasche ertönten die ersten Takte vom »Tanz der kleinen Schwäne«. Seine linke Hand zuckte reflexartig.
    Evelina und Stas wichen langsam zurück zur Wohnungstür. Als sie sie öffneten, drangen mehrere dumpfe Schüsse aus dem Treppenhaus
     herauf. Sie kamen von ganz unten. Sergej begriff: Ismailows Leute waren ins Haus gestürmt und hatten die Wachleute niedergeschossen.
    »Zurück!«, rief er. »Kommt rein und schließt die Tür ab!«
    In Ismailows Tasche ertönte erneut der Schwanentanz. Eine Tür klappte, doch wegen der Telefonmelodie war nicht zu hören, ob
     das Schloss geklackt hatte oder nicht. WederSergej noch Ismailow konnten sehen, was im Flur passierte. Sergej stand mit dem Rücken zur Tür, Ismailow saß ihm gegenüber.
     Er musste nur ein Stück zur Seite rücken, um in den Flur blicken zu können. Und er konnte der Versuchung nicht widerstehen.
     Dieser Bruchteil einer Sekunde genügte Sergej, um ihm mit einem Fußtritt die Pistole aus der Hand zu schlagen
    Ismailow zuckte panisch, und Sergej schoss ihm ins Knie.
    »Das ist für Hauptmann Gromow«, murmelte er mit zusammengebissenen Zähnen.
    Ismailow heulte leise auf und rutschte vom Sofa. Sein Gesicht war ganz weiß geworden, aber seine Augen schielten nach der
     Pistole auf dem Boden.
    »Sitzen bleiben!«, brüllte Sergej, bemüht, die wilde, dumpfe Welle von Hass zu dämpfen, die in ihm aufstieg, ihn berauschte
     und ihn am Denken hinderte.
    Ismailow machte noch eine Bewegung in Richtung Pistole, und Sergej schoss ihm auch ins andere Knie.
    »Das ist für Oberleutnant Kurotschkin!«
    In Flur und Treppenhaus dröhnte es wie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher