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Der falsche Engel

Der falsche Engel

Titel: Der falsche Engel
Autoren: Polina Daschkowa
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trockenen Glanz.
     »In diesem Zustand hätte ich jeden getötet, auch meine eigene Mutter, egal, wen. Gebt mir eine Spritze!«
    Je heftiger die Entzugserscheinungen wurden, desto beharrlicher verlangte er nach einer Pressekonferenz und internationaler
     Aufmerksamkeit. Seine Worte wurden immer undeutlicher, er schaute mit gierigen Augen auf die Metadonspritze und krächzte,
     sich in Krämpfen windend, er habe den Befehl, Doktor Tichorezkaja zu ermorden, von einem gewissen Issa erhalten, einem Mann
     um die fünfzig mit dickem Bauch. Fotos, die Waffe und alle nötigen Informationenhabe er von Issa bekommen, in einem Auto, eine halbe Stunde vor Betreten der Klinik. Mit diesem Auto habe man ihn hergebracht,
     und zwar aus einem Haus, irgendwo im Wald.
    Wie lange sie gefahren seien und mit was für einem Wagen, wie lange er in diesem Haus gewohnt habe, wie er dorthin gelangt
     sei und wer sich dort noch aufgehalten habe, wisse er nicht mehr. Eine weitere Vernehmung war sinnlos. Er hatte starke Krämpfe.
     Nach der ersehnten Spritze verlor er das Bewusstsein. Er wurde in eine Einzelzelle im Sicherheitstrakt des Lubjanka-Gefängnisses
     gebracht. Bewachung und medizinische Betreuung waren auf höchstem Niveau.
    Noch in derselben Nacht starb Andrej Trazuk an akutem Herzversagen.

Neununddreißigstes Kapitel
    Um sieben Uhr früh wurde Sergej von beharrlichem Klingeln geweckt. Er hastete zwischen den Telefonen hin und her – bis er
     begriff, dass es an der Tür klingelte. Er zog sich einen Bademantel über, ging barfuß in den Flur und schaute durch den Spion.
     Draußen stand eine seltsame Gestalt: Sackartige Stoffhose mit Biesen an den Seiten, Jeansjacke, große Brille mit breitem schwarzem
     Rahmen, kurzes dunkles Bärtchen, graue Stoffschirmmütze mit zerknittertem Rand, eine flache Nylontasche über der Schulter.
    »He, Stas, was starrst du mich an?«, fragte der Unbekannte spöttisch grinsend und drückte noch einmal auf die Klingel. »Mach
     schon auf. Ich bins.«
    Etwas schrecklich Bekanntes lag in diesem durch den runden Türspion verzerrten Grinsen. Die Tür dämpfte die Stimme, sie war
     kaum zu hören. Sergej bekam einen trockenenMund, und sein Herz pochte heftig. Fast ohne den Boden zu berühren, rannte er ins Schlafzimmer, holte die Pistole unterm Kopfkissen
     hervor, steckte sie in die Tasche des Bademantels, ging in den Flur zurück und schloss auf.
    Der Besucher trat ein, nahm die Mütze ab, warf sie auf die Kommode, setzte die Brille mit dem billigen Rahmen ab, drehte sich
     zum Spiegel und strich sich das helle, lockige Haar glatt.
    Sergej bemerkte, dass in der Brille Fensterglas war.
    »Entschuldige, dass ich so früh komme. Ich fliege in zwei Stunden.« Der Besucher wandte sich abrupt um. »Was ist mit deinem
     Gesicht los? Das war doch vor zwei Tagen noch nicht.«
    »Ach, das?« Sergej warf einen Blick in den Spiegel und berührte seine Wange. »Das sind Abdrücke vom Kissen.«
    »Ja, ich seh schon, du hast fest geschlafen, bist ja noch gar nicht richtig wach.« Der Besucher lachte und klopfte Sergej
     auf die Schulter. »Los, koch mir einen Kaffee und erzähl mir von deinen Problemen. Oder komme ich vielleicht ungelegen? Bist
     du nicht allein?« Er schob Sergej beiseite und schaute in die Zimmer.
    Sergej steckte die Hände in die Taschen, entsicherte die Pistole und wollte ins Schlafzimmer gehen.
    »Wo willst du hin?«, fragte der Besucher, griff in die Taschen seiner Jeansjacke und folgte Sergej.
    »Mir was anziehen.«
    »Nicht nötig. Wir haben wenig Zeit und viele Probleme. Sag mal, weißt du zufällig, wann zum letzten Mal was auf mein Konto
     überwiesen wurde?«
    »Neulich erst. Vor drei Tagen.«
    Sie standen dicht beieinander vor der Schlafzimmertür, im dunklen Flur, und sahen sich an.
    »Verdammt … Und wie viel?«, murmelte der Besucher, ohne den Blick von Sergej zu wenden.
    »Siebzig.« Sergej drehte sich um und ging zum Wohnzimmer. Der Besucher folgte ihm wie angeleint.
    »Sag mal«, fragte er gedehnt, während er sich aufs Sofa setzte, »kann man die nicht irgendwie zurückholen?«
    Sergej schüttete Kaffee in die Kaffeemühle. Während sie dröhnte, schwiegen die beiden Männer. Sergej drehte dem Besucher den
     Rücken zu. Zwischen ihnen lagen höchstens drei Meter.
    »Ist was passiert bei dir?«, fragte er, ohne sich umzuwenden.
    »Ja, weißt du, ich hab ein Problem. Aber davon später. Also, kann man die Kohle vom Konto im Prinzip zurückholen, oder geht
     das gar
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