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Der falsche Engel

Der falsche Engel

Titel: Der falsche Engel
Autoren: Polina Daschkowa
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bei einem Erdbeben; die Stahltür bebte. Evelina kam ins Zimmer gerannt und schrie:
     »Sie schießen auf das Schloss!«
    Plötzlich kam Leben in Ismailows schmerzgetrübte Augen, und er starrte Sergej ins Gesicht. Draußen wurden die Schüsse immer
     heftiger, MPi-Salven ertönten. Stas tauchte hinter Evelina auf.
    »Nehmt ihm seine Pistole«, sagte Sergej.
    »Ja, Stas, nimm meine Kanone und knall ihn ab. Er ist so oder so ein toter Mann«, krächzte Ismailow, »du bist ein toter Mann,
     Major Loginow. Du siehst, ich hab dich erkannt. Mach ihn kalt, Stas.«
    »Stas, nimm die Pistole!«, wiederholte Sergej.
    »Ich kann nicht«, sagte Gerassimow mit schwacher Stimme. »Ich bin krank. Ich habe Fieber.«
    Evelina hob die Pistole auf.
    »Was jetzt?«, fragte sie.
    Aber niemand hörte ihre Frage. Krachend wurde die Tür aufgerissen.
    »An die Wand! Alle beide!«, rief Sergej, sprang zurück und presste sich hinter der Tür an die Wand. Stas und Evelina stürzten
     zu ihm. Im nächsten Moment kam ein bärtiger Gorilla im grauen Anzug und mit einer riesigen Sturmpistole hereingerannt. Ismailow
     hob die Hand und zeigte auf die Personen an der Wand, doch da fiel der Gorilla schon bäuchlings zu Boden. Sergej hatte ihn
     in den Kopf getroffen.
    Ein weiterer Schuss krachte, auch der zweite Bodyguard kam hereingestürmt, schwankte und sackte zusammen. Hinter ihm standen
     zwei OMON-Soldaten.
    Stas Gerassimow sank langsam an der Wand herunter und setzte sich auf den Fußboden. Evelina blieb stehen, Ismailows Pistole
     mit beiden Händen umklammernd. Sergej trat zu ihr und sagte leise: »Danke, Lina. Sie haben mir sehr geholfen. Geben Sie mir
     bitte die Pistole.«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Sie ist geladen, Lina.«
    »Ich kann nicht«, flüsterte sie, mühsam die kalkweißen Lippen bewegend, »ich kann nicht, ich habe einen Krampf in den Fingern.«
    Während Sergej vorsichtig ihre eiskalten Finger löste, einen nach dem anderen, kam Oberst Raiski herein und eilte, ohne jemanden
     anzusehen, schnurstracks zu Ismailow. Der saß noch immer schwankend auf dem Boden. Seine Augen waren geschlossen. Aus seiner
     Tasche tönte der »Tanz der kleinen Schwäne«. Der Oberst beugte sich hinunter, holte das Telefon aus der Tasche und sagte leise:
     »Ja bitte.«

Vierzigstes Kapitel
    Die Datscha-Siedlung Fedotowka war fünfunddreißig Kilometer von Moskau entfernt. Dort, wo vor fünfzehn Jahren Mascha Demidowa
     in einer Baugrube ums Leben gekommen war, stand nun ein schickes Ferienheim. Das Wäldchen war von einer Betonmauer umgeben.
    Sergej stellte das Auto in der Nähe der Bahnstation ab und ging zu Fuß zur Siedlung. In der Straße des Kosmonauten Pazajew
     Nummer siebenundzwanzig wohnte ein gewisser Oleg Leschtschuk, 1928 geboren, Russe, mehrfach vorbestraft wegen verschiedener
     Vergehen, von Rowdytum bis zu kleinem Diebstahl. Seine letzte Strafe hatte Leschtschuk, Spitzname Fisch, von Januar 1991 bis
     Oktober 1994 im Archangelsker Lager »Narkose« verbüßt.
    Nach der Entlassung hatte er sich wieder an seinem früheren Wohnort gemeldet, in der Siedlung Fedotowka, wo seine Frau Klawdija
     all die Jahre auf ihn gewartet hatte.
    Doch von allen Informationen, die Raiski widerwillig beschafft hatte, war eine besonders vielversprechend: Den kurzen Zeitraum
     von März 1984 bis Januar 1986 hatte Leschtschuk zu Hause in Fedotowka verbracht.
    Es war sieben Uhr morgens. Die Siedlung erwachte gerade. Die Reihe morscher Lattenzäune mit den alten Holzdatschas dahinter
     wurde hier und da unterbrochen von Beton und Stahl. Hinter diesen undurchdringlichen Mauern und Stahltüren lagen steinerne
     Villen verborgen. Das Haus Nummer siebenundzwanzig war das letzte in der Pazajew-Straße.
    Sergej blieb stehen und stieß einen leisen Pfiff aus. Statt der windschiefen Hütte, mit der er gerechnet hatte, erhob sich
     vor ihm ein zwei Meter hoher Eisenzaun. Das Tor war fest geschlossen. Dahinter sah er den orangeroten Sattel eines Ziegeldachs
     schimmern.
    Das Auge einer Videokamera war fragend auf Sergej gerichtet. Ohne zu überlegen, drückte er auf den Klingelknopf. Nun öffnete
     sich die stählerne Pforte, und vor ihm stand ein baumlanger Wachmann in geflecktem Tarnanzug.
    »Hallo«, sagte Sergej, »bin ich hier richtig bei Leschtschuk?«
    Das Gesicht des Wachmanns spiegelte keinerlei Emotionen, er nickte schweigend, ließ Sergej ein und schloss das Tor wieder.
    Mitten auf einem großen, kurzgeschorenen Rasen stand eine zweistöckige weiße
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