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Der Fall

Titel: Der Fall
Autoren: Brad Meltzer
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sie ihn betrat. Das Sofa stand immer noch am selben Platz, der Schreibtisch war immer noch ordentlich aufgeräumt, und das Ausgangsfach war immer noch voller als das mit den Eingängen. Trotzdem fehlte etwas. Ungeachtet der Tatsache, dass der Raum vollständig eingerichtet war, war er leer.
    Sara schloss die Augen. Während sie sich die Gerüche des Büros einprägte, versuchte sie sich Conrads Gesicht vorzustellen. Es war einfach – einfacher, als sie gedacht hatte. Aber sie wusste, dass auch das verblassen würde. Und das war etwas anderes als bei Lenny Barrow. Sie hatte kein altes Bild, auf das sie zurückgreifen konnte. Also machte sie sich eines.
    Sara ging zum Sofa und öffnete ihre Aktentasche. Darin war ihr Porträt von Conrad – wie die Zeichnungen, die sie von Jared angefertigt hatte. Sie zog es heraus und blickte in sein Gesicht. Und in diesem Moment war er wieder da. Sie konnte ihn schreien und schimpfen und dozieren und toben hören. Sie hatte die ganze Nacht gebraucht, um es richtig hinzukriegen, aber das hatte er verdient. Behutsam legte sie das Porträt auf seinen ordentlich aufgeräumten Schreibtisch. Rahmen lassen würde sie es später, aber im Moment war das sein Platz. »Wiedersehen«, flüsterte sie, als sie das Büro verließ.
    Als sie die Tür hinter sich schloss, drehte sie sich um und las die zwei Zitate, die immer noch an der Milchglasscheibe angebracht waren. »Crimine ab uno disce omnes – erkenne die Nation an einem Verbrechen« von Vergil und »Ruhm ist etwas, das erworben werden muss; Ehre ist etwas, das nicht verloren werden darf« von Arthur Schopenhauer. Als sie die Zitate von der Tür abzog, achtete sie darauf, das Klebeband nicht zu zerstören, mit dem sie befestigt waren. Dann ging sie den Flur hinunter.
    Sobald sie ihr Büro erreichte, hielt sie die Zitate an ihre eigene Tür und drückte sie fest. Dann trat sie zurück und bewunderte ihre neue Errungenschaft. Es war nicht annähernd genug, aber es war ein Anfang.
    »Er hätte es sicher nicht anders gewollt«, sagte Guff.
    »Irgendjemand muss es ja tun«, sagte Sara und ging, ohne die Tür zu öffnen, weiter den Flur hinunter.
    »Wo willst du hin?«, fragte Guff.
    »Ins Krankenhaus. Aber vorher möchte ich noch kurz mit jemandem sprechen.«
    Als der Lift im fünfzehnten Stock hielt, verließ Sara die Kabine und ging den hell erleuchteten Flur hinunter. Beim Anblick des teuren Teppichs und der verschlungenen Stuckarbeiten an der Decke begann es in ihr zu arbeiten. Ohne irgendwelche anderweitigen Einkünfte konnte sich niemand mit einem Beamtengehalt so eine Wohnung leisten. Als sie die Tür von Apartment 1504 erreichte, hielt sie die Hand auf den Spion und klingelte.
    »Wer ist da?«, fragte eine Männerstimme.
    »Sara Tate«, antwortete sie.
    Victor Stockwell öffnete die Tür und bedachte Sara mit einem verkniffenen Lächeln. »Schön, Sie zu sehen, Ms. Tate. Was verschafft mir die Ehre Ihres Besuches?«
    »Ich möchte nur, dass Ihnen eins klar ist. Ich weiß, dass Sie es waren, der mich da reingeritten hat. Und egal, wie lang es dauert, irgendwann werde ich es beweisen.«
    »Was wollen Sie beweisen?«
    Ohne auf die Frage einzugehen, fuhr Sara fort: »Der Ausschuss mag vielleicht im Moment noch nicht zu einer Anklageerhebung bereit sein, aber das heißt nicht, dass die Sache endgültig vom Tisch ist. Wenn ich alles Nötige getan habe, wird Ihnen diese Suspendierung noch erscheinen wie –«
    »Ich bin nicht suspendiert«, unterbrach Stockwell sie. »Ich habe mich offiziell beurlauben lassen. Und falls Sie mir drohen wollen, dann verschwinden Sie lieber, bevor ich Sie wegen Belästigung anzeige. Sie mögen sich vielleicht für einen Super-SBA halten, bloß weil Sie mal Anfängerglück hatten, aber Sie müssen trotzdem noch eine Menge lernen. Und nur damit Sie’s wissen, ich drücke meine Fälle nicht irgendwelchen Berufsanfängern auf.«
    »Machen Sie ruhig weiter so«, konterte Sara. »Eines Tages wird Ihnen Ihre Unverschämtheit noch das Genick brechen. Die Wahrheit ist keineswegs so schwer ans Licht zu bringen – selbst die besten SBAs können sich ohne kleine Nebeneinkünfte keine noblen Apartments in der Upper East Side leisten.«
    »Sara, darf ich Ihnen vielleicht eine kostenlose Nachhilfestunde erteilen? Es gibt einen feinen Unterschied zwischen Wahrheit und Fakt. Ein Fakt ist objektive Realität, während die Wahrheit erst Fakt werden muss. Wenn Sie also die Fakten nicht finden können, können Sie die Wahrheit nie
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