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Der Fall von Katara

Der Fall von Katara

Titel: Der Fall von Katara
Autoren: Theo L. Wuldt
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Verlobte, bei ihm gewesen. Sie waren eng umschlungen. Er konnte ihre Umarmung spüren und auch ihren Körpergeruch wahrnehmen. Die Situation erschien Erek so wirklich wie die Realität selbst. Er fühlte sich geborgen in den Armen dieser bezaubernden Frau, mit der er die schönsten Jahre seines Lebens verbracht hatte. Ihr seidiges blondes Haar kitzelte sein Gesicht. Sie hatte helle Haut, violette Augen, einen geschwungenen Mund und war links und rechts von ihrer Nase mit blauen Ornamenten tätowiert, die filigran gezeichnet waren und silbrig schimmerten. Alle Threberinnen besaßen diesen attraktiven Sonnenschutz, der ihnen ein magisches Aussehen verlieh. Bis zu diesem Zeitpunkt wäre Ereks Traum noch angenehm gewesen und hätte ewig währen können, aber dann hatte die Harmonie zu bröckeln begonnen. Anaja hatte Ereks Blicke nicht mehr erwidert. Ihr Wesen war traurig, nachdenklich und distanziert geworden. Ihre Augen waren ständig auf den Horizont gerichtet. Sie hatte sich plötzlich aus Ereks Umarmung gelöst, war aufgestanden und aus dem Haus gerannt, ohne irgendeinen ersichtlichen Grund. Als Erek aus dem Fenster seines Hauses schaute und erkannte, dass Anaja auf einen Abgrund zulief, wollte er sie warnen und aus dem Fenster herausschreien, aber sein Mund war wie zugenäht. Er wollte ihr hinterherlaufen, aber konnte seine Füße nicht mehr bewegen, als steckte er fest. Er hörte in seinem Traum nur noch einen spitzen Schrei, einen dumpfen Aufprall, und danach kam das böse Erwachen.
    Seit zehn Jahren hatte Erek diesen verfluchten Traum, der sein Leben quälte. Genau betrachtet, war es kein Traum, sondern die Wirklichkeit. Nachdem Anaja damals schwanger geworden war, hatte sie eine Fehlgeburt bekommen. Sie verkraftete diesen Schicksalsschlag nicht und stürzte sich über eine Klippe in den Tod. Anaja trat mit einem Schlag aus Ereks Leben und ließ ihn allein zurück. Er hatte nach diesem tragischen Vorfall das gemeinsame Haus aufgegeben und war in eine sozial-schwache Gegend umgezogen, mit dem Ziel, die Erinnerung an sein früheres Leben zu löschen oder wenigstens die unangenehmen Geschehnisse zu verdrängen. Das wollte jedoch nicht so recht klappen, obwohl zehn Jahre eine lange Zeit waren. Es war aber nicht lang genug, um Anaja zu vergessen.
    Erek schaute sehnsüchtig aus dem Fenster seiner steinernen Hütte, die am Stadtrand von Usiris gelegen war. Er hatte einen weiten Blick nach Westen zur untergehenden Sonne. Aus dieser Richtung kamen die stürmischen Spätsommertornados und fegten über das Land hinweg. Die vergangene Nacht war jedoch verhältnismäßig ruhig gewesen, und man konnte nun am früheren Morgen Pfeifhasenbussarde erkennen, die majestätisch durch die Lüfte glitten und sich schon auf Beutesuche begeben hatten.
    Erek stellte fest, dass sein Magen verdächtig knurrte. Nach dieser langen entbehrungsreichen Nacht war er nun einem Hirsebrei nicht abgeneigt. Er hatte aber den Verdacht, dass der Rattenspeck ausgegangen war, und ohne Rattenspeck würde er den faden Hirsebrei bestimmt nicht hinunterbringen. Erek mühte sich aus dem Bett heraus und versuchte, auf wackeligen Beinen in die Küche zu gelangen. Er öffnete die Kühlkammer und verschaffte sich einen Überblick über die kulinarische Lage. Er hatte Mondfrüchte aus Negidu, einheimische Kängurumilch und hedonische Froschdrüsen aus nachhaltigem Anbau in großen Mengen vorhanden. Der Rattenspeck wollte sich aber nicht auffinden lassen.
    Erek aß folglich den Hirsebrei von gestern mit ein paar getrockneten Froschdrüsen, wobei ihm viele Gedanken durch den Kopf schossen. Er spazierte mit seiner Frühstücksschüssel durch die kleine Steinhütte, die er wenigstens sein Eigen nennen durfte. Er erreichte das Wohnzimmer, nahm in seinem Lieblingssessel, der mit Lamasch-Wolle überzogen war, Platz und betrachtete den Arbeitstisch aus reinstem Pechbaum. Es war zwar alles sehr unordentlich, weil Erek auf dem Tiefpunkt seines Lebens angekommen war, aber er wusste, dass er sich schon noch eines Tages aufraffen würde, wenn er bedachte, dass er erst vierundvierzig Terra-Jahre alt bzw. zweiundzwanzig Tenemos-Jahre jung war. Aus Nostalgie rechneten die Threber ihr Alter auf den terrestrischen Maßstab um.
    Erek leerte die Reste seines Müslis, stellte die Schüssel auf den Tisch und versuchte, etwas Ordnung in das Chaos hineinzubringen. Er fand dabei die Post vom Vortag, die er desinteressiert anschaute. Er entdeckte einen Brief darunter, der von der
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