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Der Fall des Lemming

Der Fall des Lemming

Titel: Der Fall des Lemming
Autoren: Stefan Slupetzky
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einem seiner fünf Mitarbeiter einen weißen Umschlag in die Hand. «Weiß wie die Spuren im Schnee», raunt er dabei in geheimnisvollem Flüsterton und fügt wie immer hinzu: «Schnell, korrekt und vor allem diskret, keine Mucken, keine Macken, mein Freund …»
    Dann der Personenschutz. Wenn beispielsweise ein braver Familienvater aus Hernals auf dem Weg zum Zigarettenautomaten seiner Jugendliebe begegnet, sie auf ein Achterl in ihre Wohnung am Währinger Gürtel begleitet und zwei Tage später von ihrem Mann mit ihr im Bett erwischt wird, nämlich von jenem stattlichen Fernfahrer, den er beiläufig vom Stammtisch des Brunnenwirten kennt, und wenn der Fernfahrer ihm dann mit der leidlich sachgerechten Amputation wichtiger Körperteile droht und mit noch Schlimmerem und wenn sich dann der Familienvater an die Detektei Cerny und Cerny wendet, weil er sich «nimmer recht sicher» fühlt, dann liegt wenig später ein roter Umschlag auf Cernys Tisch. «Rot wie Blut», das ist Cernys Kommentar, und er reißt dabei die Augen auf, als wäre er selbst der gehörnte Trucker.
    Weiter die Personalüberwachung. Wenn sich beispielsweise ein braver Familienvater aus Hernals zum achten Mal in acht Monaten krank gemeldet hat, wegen «die Scheiß-Hämorrhoiden» und wegen «dera Gürtelrose», und wenn sein Chef den Verdacht hegt, dass er in Wirklichkeit die fünfzehn Videorecorder und die zwanzig Gameboys verhökern will, die in letzter Zeit aus dem Lager verschwunden sind, oder dass er diverse kleinere Nebenjobs für die Konkurrenz erledigt, statt zur Arbeit zu kommen, oder dass es sich bei seiner Krankheit weniger um eine Gürtelrose als um eine Gürtel-Rosi handelt, und wenn sich dann der Chef an die Detektei Cerny und Cerny wendet, weil man «ja sonst kaum mehr wem kündigen kann, heutzutag», dann ist es ein grauer Umschlag, den der alte Cerny einem seiner Detektive übergibt. «Grau wie die nächtlichen Katzen», sagt er dabei mit fester Stimme, und er kann seinen Stolz kaum verbergen, mit einer Wirtschaftsangelegenheit betraut worden zu sein.
    Zu guter Letzt die gelben Umschläge. Gelb wie die Eifersucht, aber das sagt Cerny nicht. «Ehescheidungsangelegenheiten» heißt es in seinem Jargon oder «Überprüfung der Partnertreue». Wenn also der brave Hernalser Familienvater zwischen Zigarettenkauf, Brunnenwirt, Hehlerei und Schwarzarbeit noch ein wenig Zeit findet, um seine Jugendliebe zu besuchen, und wenn sich seine Frau Gemahlin oder ihr Leidensgenosse, der Fernfahrer, oder gar beide nicht so recht mit diesem Umstand abfinden wollen und wenn sie sich an die Detektei Cerny und Cerny wenden, weil «dem Saubären», respektive «der Schlampen kräftig eins ausg’wischt g’hört», dann, ja dann ist Cernys Umschlag gelb. Ein gelber Auftrag lässt die Stimmung des Lemming grundsätzlich ins Bodenlose sinken. Und das ist gestern nicht anders gewesen.
    «Was bin ich», hat er gemurmelt, «was bin ich denn … ein Paparazzo, ein schmieriger?» Aber er hat den Umschlag dann doch an sich genommen. Der Lemming weiß, dass er so bald keine bessere Arbeit finden wird. Fast zweieinhalb Jahre sind seit seinem Abschied von der Polizei vergangen, und erst vor sechs Monaten, im Herbst 1999, hat ihn der alte Cerny gnadenhalber und probeweise eingestellt.
    Grinzinger also. Doktor Friedrich Grinzinger, einundsechzig Jahre alt, seines Zeichens Rentner. Grinzingers Frau hegt, und zwar den dringenden Verdacht, dass ihr Mann pflegt, nämlich ein außereheliches Verhältnis. In Cernys gelbem Umschlag hat der Lemming ein Foto des Beschuldigten gefunden, daneben seine Wohnadresse im neunzehnten Bezirk und einige Notizen bezüglich seiner Vergangenheit, seiner Vorlieben, seiner Lebensgewohnheiten. Grinzinger ist Lehrer gewesen, hat seit 1962 an einem Döblinger Gymnasium Latein und Geschichte unterrichtet, bis er im Vorjahr in Pension ging. 1966 hat er seine heutige Frau Nora geheiratet. Die Ehe der beiden ist kinderlos geblieben. Seit zwei, drei Monaten benimmt sich Grinzinger sehr eigenartig. Er geht oft außer Haus, ohne nähere Gründe dafür anzugeben. Nora hat in Erfahrung gebracht, dass ihr Mann in einem Blumenladen in der Hardtgasse wiederholt rote Rosen gekauft hat. Sie ist sicher, dass ihr Mann eine Affäre hat, weiß aber nicht, mit wem. Es kann sich nach ihrer Meinung nur um eine Lehrerin handeln, da sich Grinzingers Bekanntenkreis auf ein paar ehemalige Kollegen beschränkt. Grinzinger besitzt einen Führerschein, aber keinen
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