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Der Fall des Lemming

Der Fall des Lemming

Titel: Der Fall des Lemming
Autoren: Stefan Slupetzky
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und steigt aus der Unterhose.
    Still ist es jetzt im Augenschein . Belustigt, überrascht ruhen elf Augenpaare auf dem nackten weißen Körper. Auch Krotznig schweigt und streichelt versonnen seine rechte Schurrbartspitze.
    «Na, was ist?», grölt der Lemming. «Kommt’s ihr endlich?» Er wankt in weitem Bogen durchs Lokal, stößt an die Eingangstür und reißt sie auf. Ein eisiger Windstoß fährt durchs Augenschein .
    «Geh, Dolfi, der Arme …», stößt Dragica hervor. «Gusch, Pupperl! A Lemming is a Lemming …»
    Aber da ist des Lemming leuchtender Hintern sowieso schon im Schneegestöber verschwunden.
    DIE REINE WAHRHEIT VOM 9.   12.   1998
    Unsere Staatsdiener – nächtlich nackt im Wiener Winter!
    Dafür zahlen anständige Österreicher hart verdientes Steuergeld: Wie gestern bekannt wurde, ging der Wiener Polizei in der Nacht zum Dienstag ein Fisch aus den eigenen Reihen ins Netz. Kriminalgruppeninspektor Leopold W., 38, wurde nach einem Trinkgelage gegen 1.30 Uhr völlig unbekleidet vor der Servitenkirche im 9. Wiener Gemeindebezirk aufgegriffen. Schlafende Anrainer waren von W. obszön beschimpft und lautstark zum gemeinsamen Selbstmord aufgefordert worden. Ein Kollege W.s, Kriminalgruppeninspektor Adolf K., 32, hatte bereits das nahe gelegene Wachzimmer verständigt. Wie er gegenüber Reportern der «Reinen» erklärte, habe er den schwer alkoholisierten W. mehrmals zurückhalten wollen, doch sei ihm schließlich «nichts anderes übrig geblieben, als die Freunde von der Polizei zu rufen». W. sei schon seit längerem psychisch labil, aber «wir hoffen, ihn bald wieder in unserer Mitte zu haben».

    Leopold W. wurde mit sofortiger Wirkung dienstfrei gestellt.

2
    Seit Stunden schon kämpft die Sonne gegen die Hochnebel an, versucht, den Dunst zu durchdringen. Dann, gegen die Mittagszeit, kommt Wind auf, der treibt die Wolken vor sich her, zerreißt ihr fahlweißes Band, und endlich brechen die ersten Strahlen durch.
    Tief liegen die Spielzeughäuser Wiens, das ziegelrote Dächermeer und die Kirchturmspitzen der Innenbezirke, deren feine Struktur sich nach außen hin ringförmig ausdünnt, vergröbert, um sich endlich, zerklüftet und rissig, in Wienerwald und Wiener Becken zu verlieren.
    Sieht aus wie eine schlecht belegte Pizza, denkt der Lemming, während er aus dem Busfenster schaut. Sein Blick sucht die glänzende Kuppel der Spittelauer Müllverbrennungsanlage, dieses goldene Krebsgeschwür unter den neueren Wahrzeichen Wiens, streicht dann den Donaukanal entlang bis zum Ringturm und wandert ein Stück nach rechts, zur Rossau. Wann auch immer der Lemming im Bus auf den Kahlenberg sitzt, versucht er, sein Grätzl, seine Gasse, sein Haus zu finden. Es ist ihm noch nie gelungen. Die Straßenschluchten, von denen er täglich verschluckt wird, erscheinen aus dieser Entfernung zu wirr, zu verschwommen und unbedeutend. Und so wendet er sich wieder seinem neuen Auftrag zu, jenem Mann, den es zu überwachen gilt, dem Mann mit der Rose, der drei Reihen vor ihm sitzt.
    Gestern Vormittag war es, da hat ihn der alte Cerny zu sich ins Büro gerufen und mit einem jener gelben Umschläge herumgewedelt, die der Lemming so verabscheut.
    «Mein lieber Wallisch», hat Cerny gesagt und sich geräuspert, «ich weiß, Sie schätzen das nicht, aber ich hab grad keinen anderen frei für die Sache. Auftrag ist Auftrag, mein lieber Wallisch, da könn’ ma keinen Unterschied machen, gell? Also, morgen früh geht’s los, der Mann heißt Grinzinger, Doktor Grinzinger. Und geben S’ mir ja Ihr Bestes, Wallisch, schnell, korrekt und vor allem diskret, keine Mucken, keine Macken, mein Freund, denken S’ mir nur immer an Ihre unrühmliche Vergangenheit. Cerny und Cerny hat im Gegensatz zu Ihnen einen Ruf zu verlieren.» Und dann hat ihm der alte Cerny den gelben Umschlag über den Tisch geschoben. Wie alle mittelgroßen Detektivbüros befasst sich die Detektei Cerny und Cerny vorwiegend mit vier Arten von Aufträgen:
    Da ist zunächst die Suche nach Vermissten. Wenn beispielsweise ein braver Familienvater aus Hernals am Abend noch rasch Zigaretten kaufen geht und nach zwei Tagen immer noch nicht heimgekommen ist und wenn er auch nicht beim Brunnenwirt an der Ecke unterm Stammtisch liegt und etwas von «a bisserl später word’n» vor sich hin nuschelt und wenn sich dann die Frau Gemahlin an die Detektei Cerny und Cerny wendet, «scho weg’n die drei Kinder und die Alimente», dann drückt der alte Cerny kurz darauf
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