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Der Fall des Lemming

Der Fall des Lemming

Titel: Der Fall des Lemming
Autoren: Stefan Slupetzky
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    «Hopp, hopp, wirf an dei’ Rostschüssel, gemma!»
    Krotznig steigt ächzend in den Fond des Taxis, spuckt ein letztes Mal aufs Trottoir hinaus, zieht dann kraftvoll die Tür zu. Sie schließt nicht.
    «Scheißkübel, elendiger!»
    Leise vibrieren Krotznigs frisch getrimmte Schnurrbartspitzen. Er beugt sich zur Seite, ein drohendes Brummen auf den Lippen, und fährt prüfend mit den Fingern den Türrahmen entlang. Dann, endlich, spürt er den Widerstand, den Widerstand seines eigenen Mantels, der sich im Spalt zwischen Tür und Rahmen verfangen hat. Schlichtweg eingeklemmt, Krotznigs Stutzer, Krotznigs Stolz, sein langer brauner Ledermantel.
    «Drecks …!»
    Während der fluchende Krotznig auf dem Rücksitz die Tür wieder aufstößt, um seine Kleidung ins Trockene zu bringen, nimmt der Lemming vorne Platz, auf dem Beifahrersitz, rechts neben dem Chauffeur.
    Draußen schwirrt der Schnee im Licht der Laternen, wirbelt in dichten Flocken durch die Straßen und legt sich auf den aschgrauen Matsch der vergangenen Tage.
    Die Stadt ist wieder weiß.
    Der Taxifahrer wird immer schwarz bleiben.
    Es ist nur eine Frage von Sekunden, bis Krotznigs Blick in den Rückspiegel fallen, bis Krotznig es bemerken wird. Krotznig hat schon immer einen Hang zum Ungemütlichen gehabt. Aber er treibt diese Eigenschaft zu höchster Vollendung, wenn es um exotische Hautfarben geht. Der Lemming weiß das, er kennt seines Kollegen Abneigung gegen alles Unvertraute. Und so beeilt er sich, dem Afrikaner in gleichsam vorauseilend begütigendem Tonfall zuzuraunen: «Bringen S’ uns in die Berggasse, bitte. Lokal Augenschein !»
    Der Fahrer nickt, lässt den Motor an und greift zur Taxiuhr, um das Zählwerk einzuschalten.
    «Finger weg …»
    Ruhig, ganz ruhig hat Krotznig das gesagt. Regungslos sitzt er hinten im Dunkel, und der Lemming kann spüren, dass Krotznig jetzt in den Rückspiegel starrt, dass er die erstaunten Augen des Afrikaners darin mustert.
    «Mir fahrn heut ohne Taxameter …»
    «Aber … ich verstehe nicht …»
    Die Stimme des Schwarzen ist leise. Er wendet nicht den Kopf, vermeidet instinktiv direkten Blickkontakt mit dem Mann auf dem Rücksitz.
    «Da gibt’s nix zum Vastehn. Der Wagn is konfisziert.»
    Nun kommt Bewegung in Kriminalgruppeninspektor Adolf Krotznig. Man kann das Knarren seines Mantels hören, als er sich langsam vorbeugt, um seinen Mund ganz nahe an das Ohr des Fahrers zu bringen. «Polizei», raunt Krotznig, samtweich.
    Der Lemming hält den Kopf gesenkt, starrt auf die abgewetzten Spitzen seiner Schuhe. Jetzt fährt seine Hand in die Jacke, hastig, wie um das Schlimmste verhindern zu wollen, und nestelt eine Brieftasche hervor.
    «Es stimmt», murmelt der Lemming, bevor der Schwarze etwas sagen kann, und hält ihm seine Dienstmarke hin. «Es stimmt.»
    Langsam gleitet der Mercedes die menschenleere Landesgerichtsstraße entlang, bremst sich schlingernd einer roten Ampel entgegen. Und nun geschieht, was schon vorher unvermeidlich war: Im selben Moment, da der Wagen zum Stillstand kommt, gerät Krotznig erst richtig in Fahrt.
    «Was is, Bimbo? Glaubst, mir sitzen wegn dera schönen Aussicht da? Du fahren weiter, du Kaffer, sonst ich dir Feuer machen unter deinem kackbraunen Arscherl!»
    Der Fahrer starrt geradeaus. Der Schock und die Angst und der Stolz und die Wut, das alles steht ihm ins Gesicht geschrieben, arbeitet, kämpft in ihm, und als er endlich eine Antwort wagt, da zittert seine Stimme.
    «Auf Ihre Verantwortung», sagt der Schwarze.
    Krotznig stutzt. Holt Luft, tief und lange. Legt gleichsam eine künstlerische Pause ein, markiert Verblüffung, Verwirrung. Greift in die Innentasche seines Mantels, steckt sich nachdenklich eine Virginia an. Raucht stirnrunzelnd. Wendet sich dann plötzlich mit hochgezogenen Augenbrauen dem Lemming zu und fragt, ein Grinsen auf den Lippen:
    «Hast des g’hört, Partner? Des Mohrl red’t z’ruck …»
    Der Lemming ringt mit sich selbst. Zusammenhalt ist oberstes Gebot bei den Kriminesern. Zusammenhalt nach außen jedenfalls, und das heißt: jeder so genannten vereinsfremden Person gegenüber. Wie ein Mann haben die Beamten zusammenzustehen, unerschütterlich und ehrenhaft im täglichen Kampf gegen Unrecht und Verbrechen. Wer einem Kollegen in der Öffentlichkeit widerspricht, wer Uneinigkeit anklingen lässt, der gefährdet den Gemeinschaftsgeist, der unterminiert das Ansehen der Polizei, die Macht des Gesetzes und damit die Sicherheit des ganzen
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