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Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)

Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Cay Rademacher
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der er niedergeschossen worden ist. Denk nicht daran, sagt sich Stave.
    Er sieht schon die Nikolaikirche – oder das, was von ihr übrig geblieben ist. Deren schmaler, neogotischer Turm ragte, seit er sich zurückerinnern kann, in Hamburgs Himmel. Eine Zeitlang war das sogar der höchste Kirchturm der Welt gewesen. Nun steht er da wie ein kariöser Zahn: immer noch fast hundert Meter hoch, doch an beiden Seiten aufgerissen, als habe jemand zwei der vier Wände mit Hammer und Meißel abgeklopft. Die Treppen im Innern liegen frei, die Reste eines gewaltigen Glockenspiels glänzen regennass. Vom Kirchenschiff stehen noch drei, vier schwarz vernarbte Wandreste, abgehackte Pfeiler, steinerne Fensterrahmen und Rosetten, aus denen der Feuersturm das Glas weggeschmolzen hat.
    Der alte Schupo umkurvt die Kirchenruine. Direkt dahinter führt die Reimersbrücke über das Nikolaifleet. Es ist Ebbe, rissige Spundwände und hölzerne Eichenbalken, vor Generationen in den weichen Boden gerammt, um die Häuser abzustützen, ragen aus dem schlammig braunen, kaum halbmetertiefen Wasser.
    »Ich weiß nicht, ob die Brücke das Gewicht des Autos trägt. Ich parke mal davor«, brummt der Polizist und tritt hart auf die Bremse.
    Stave murmelt Dankesworte.
    »Soll ich hier auf Sie warten, Herr Oberinspektor?«
    Der Kripo-Beamte will schon den Kopf schütteln, weil er, wann auch immer er hier fertig sein wird, die paar hundert Meter zurückgehen kann. Doch dann fällt ihm ein, dass es zwischen den Trümmern der Kontorhäuser zu beiden Seiten des Fleets sicher kein Telefon geben wird und es vielleicht nützlich wäre, ein Funkgerät zu haben, falls er einen Spezialisten hinzurufen muss.
    »Machen Sie es sich bequem«, antwortet er.
    Der Schupo nickt erleichtert. Offenbar ist es ihm ganz recht, untätig im Mercedes zu dösen.
    Zwei Uniformierte haben die Reimersbrücke und die weiterführende Straße abgesperrt – was kaum nötig wäre, denn weit und breit ist kein Passant zu sehen. Stave zückt seinen gelben Kripoausweis.
    »Ludwig Ramdohr«, stellt sich einer der beiden Schupos vor und salutiert. »Trümmerfrauen haben den Schlamassel entdeckt. Sie haben am Haus gearbeitet, als eine Windböe eine Mauer umgeworfen hat. Können von Glück sagen, dass sie nicht erschlagen worden sind. Als sich der Staub legte, haben sie ein Skelett entdeckt. Und dann noch ein Kunstwerk.«
    »Um das Skelett kümmert sich ein Kollege. Mich interessiert nur das Kunstwerk. Was für eines?«
    Ein gleichgültiges Achselzucken. »Neumodisches Zeugs.«
    Stave denkt an Anna, die ihr Geld damit verdient, Kunstwerke und Antiquitäten aus Ruinen zu bergen, um sie an Engländer und Schwarzhändler zu verhökern. »Geht es präziser? Ein Bild? Eine Statue?« Er klingt schärfer, als es nötig wäre.
    »Eine Statue, so wird man das wohl nennen können. Sieht für mich auch nicht schöner aus als das Skelett daneben. Kein Ding, das ich mir ins Wohnzimmer stellen würde.« Oberwachtmeister Ramdohr reibt das Brustschild seiner Uniform: eine kleine Metallspange, auf der oben das Wort »Hamburg« prangt, darunter das Wappen im Kreis, schließlich seine vierstellige Dienstnummer. Er tut das unbewusst, bis er Staves Blick bemerkt, der der Bewegung seiner Rechten folgt.
    »Kann mich an diese englische Erfindung nicht gewöhnen«, entschuldigt sich Ramdohr.
    »Immerhin glänzt die Marke schön.«
    »Anders als das Kunstwerk. Das hätte eine gründliche Politur nötig. Ich führe Sie hin.«
    Der Reimershof ist das erste Kontorhaus links hinter der Brücke, oder das, was davon noch übriggeblieben ist. Ursprünglich ein acht Stockwerke hoher Block, einst weiß verputzt. Die ebenfalls zerschmetterten Gebäude zu beiden Seiten waren aus Backstein errichtet worden, der Oberinspektor vermutet, dass der helle Putz ein Zeichen dafür ist, dass dieses Gebäude moderner war als die anderen. Zwanziger Jahre vielleicht, schätzt er, auch wenn das nun gleichgültig ist. In den weißen Putz haben sich braune und gelbe Feuchtigkeitsflecken gegraben, rund um jedes leere Fenster breitet sich ein rußig schwarzer Rand aus. Darüber der Himmel – kein Dach mehr. Volltreffer, denkt Stave. Brandbombe im Dachstuhl, und in der Angriffsnacht niemand da, der sich im Bombenhagel hinausgewagt hätte, um die Flammen zu löschen. Ein Feuer, das den Dachstuhl gefressen hat, bis der auf die Etagen darunter stürzte und alles in einer Lawine aus Holz und Stein und was auch immer dort gelagert gewesen sein mag in
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