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Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)

Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Cay Rademacher
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anderes übrig, als stundenlang in die Dunkelheit zu starren, gelegentlich seine bandagierte Wunde zu betasten und auf die Atemzüge hinter dem Paravent zu lauschen, die schwächer zu werden scheinen, je länger die Nacht voranschreitet.
    Im grauen Morgenlicht wird die Tür geöffnet. Eine junge Krankenschwester tritt ein, ihr hübsches Gesicht schmal unter der hohen, gestärkten Haube. »Stukas« nannten die Wehrmachtssoldaten die Krankenschwestern, weil die Flügel der Haube geknickt sind wie die Tragflächen des Kampfbombers, das hat Stave von seinem Sohn Karl erfahren. Auf einem Schild an der Brust steht ihr Vorname: Franziska. Einen Moment lang wünscht er sich, die junge Frau mit einem Scherz begrüßen zu können, doch ihm will nichts einfallen. »Wo bin ich?«, fragt er stattdessen. Er erschrickt über den matten Klang seiner Stimme.
    Sie schenkt ihm bloß ein flüchtiges Lächeln. »Einen Augenblick, bitte«, dann verschwindet sie hinter dem Paravent. Erst jetzt fällt dem Oberinspektor auf, dass er schon lange keine Atemzüge mehr gehört hat. Die Schwester eilt wieder aus dem Zimmer, kommt mit einer zweiten zurück, dann fliegt ein Arzt an Staves Krankenbett vorbei, ohne ihm einen Blick zuzuwerfen. Geflüsterte Worte hinter dem Stoff, surreal wie in einem jener modernen Theaterstücke, die man in der braunen Zeit nicht spielen durfte.
    Irgendwann wird ein Bett aus dem Raum gerollt. Der Kripo-Beamte erspart sich den Schmerz, den es ihn kosten würde, sich aufzurichten. Jemand faltet den Paravent zusammen, plötzlich flutet Licht vom hohen Fenster bis auf sein Kissen. Der Platz nebenan ist leer.
    »Sie haben sich ja mal lange vom Dienst absentiert, Herr Oberinspektor.« Ein älterer Arzt, eisengrauer Bürstenhaarschnitt, Schmiss auf der linken Wange. Ehemaliger Armeearzt, vermutet Stave.
    »Wo bin ich?«
    »Im Universitätskrankenhaus Eppendorf. Für Staatsdiener nur das Beste vom Besten. Anderswo hätten Sie mit dieser Verletzung auch nicht überlebt. Steckschuss in der Lunge. Vor ein paar Jahren wäre da nicht viel zu machen gewesen. Aber seither haben wir ja mit Schussverletzungen enorme Erfahrungen gesammelt.«
    »Ich bin ein Kriegsgewinnler.«
    Der Mediziner lacht. »Sind wir das nicht alle?«
    »Wie lange war ich bewusstlos?«
    »Sie schwebten zwei Wochen zwischen dieser und der anderen Welt. Es war knapp, aber ich habe schon knappere Fälle gesehen. Falls Sie auf eine Frühpensionierung gehofft haben, muss ich Sie enttäuschen: Sie werden wieder.«
    »Ist der Kerl geschnappt worden?«
    Der Arzt hebt die Schultern. »Nicht meine Fakultät.«
    »Hat er noch Kollegen verletzt oder gar …« Stave vollendet den Satz nicht.
    »Zumindest ist kein Polizist mit Ihnen hier eingeliefert worden. Erholen Sie sich jetzt. Schlafen Sie.«
    »Ich habe einen halben Monat verschlafen.«
    »Das ist ein Befehl.«
    Stave blickt dem wehenden weißen Kittel nach, der Richtung Flur davonflattert. Zunächst glaubt er, dass der letzte Satz als Scherz formuliert war, doch dann kommt der Oberinspektor zu dem Schluss, dass der Arzt das ernst gemeint hat.
    Am Nachmittag legen sie einen jungen Mann ins Zimmer, fast noch ein Kind, die Stirn dick bandagiert, kaum bei Bewusstsein. Während Schwestern das Bett hineinschieben und den Paravent aufspannen, tritt noch jemand in den Raum: Staves Sohn. Sehr groß, sehr hager, die hellblonden Haare eine Spur zu lang für den Geschmack des Oberinspektors, tiefblaue Augen, Wasserflecken auf dem verblichenen Mantel und Schuhe, die vor Feuchtigkeit auf dem Linoleumboden quietschen.
    »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag«, murmelt Stave und hebt matt die Hand. »Habe es leider verschlafen.«
    Karl blickt ihn einen Augenblick überrascht an, lächelt kurz, wird wieder ernst. Am 2.   April ist er zwanzig Jahre alt geworden. »Den Geburtstagskuchen essen wir, wenn du wieder draußen bist. Hätte ich gewusst, dass du heute zu dir kommen würdest, hätte ich dir Blumen mitgebracht.«
    »Aus deinem Schrebergarten?«
    Wieder der Hauch eines Lächelns. »Da gedeihen nur Tabakblätter. Ich hätte Tulpen bei einem Nachbarn mitgehen lassen.«
    »Diebesbeute. Das passende Geschenk für einen Krimsche.«
    »Ich freue mich, dass es dir wieder besser geht.«
    »Morgen bin ich wieder im Einsatz.«
    »Lass dir Zeit bis übermorgen.«
    Schweigen. Stave blickt seinen Sohn an, der den Schwestern mit linkischen Gesten beim Aufstellen des Paravents helfen will, aber eher im Weg steht, als nützlich zu sein. Was
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