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Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)

Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Cay Rademacher
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die Tiefe stürzte. In Hamburg stehen Hunderte Häuser wie dieses, mit fast intakten Außenmauern, ohne Fenstergläser, ohne Dach, das Innere ein Berg aus Schutt.
    Am Eingang, in dem noch verkohlte Reste einer schweren Eichentür in den Angeln hängen, nickt ihm Polizeifotograf Ansgar Kienle zu. »Ich kümmere mich zuerst um den Toten, Herr Oberinspektor«, sagt er entschuldigend. »Dann widme ich mich Ihrem Fall.« Stave blickt ihn an: ein sommersprossiges, fröhliches Gesicht, das aus einer zeltartigen Regenpelerine leuchtet. Er hält den gewachsten Stoff des Umhangs schützend über seine kostbare Vorkriegs-Leica, den einzigen Fotoapparat im Besitz der Hamburger Kriminalpolizei.
    »Die Sachen werden mir schon nicht wegrosten«, erwidert er. Der weiß auch schon, dass ich nicht mehr zur Mordkommission gehöre, denkt Stave. Spricht sich ja schnell herum. »Gut«, fährt er fort, »aber ich gehe trotzdem schon zum Fundort. Ich bin vorsichtig und zertrample Ihnen keine Spuren.«
    »Das sagen sie alle«, seufzt Kienle und fingert an seiner Leica herum.
    »Wo sind die Trümmerfrauen?«
    »Hinter dem Reimershof«, antwortet Ramdohr. »Nachdem die Mauer umgekippt ist und sie die Leiche gefunden haben, wollten sie nicht drinnen warten. Sie können Sie befragen, nachdem …« Er zögert.
    »Nachdem die Kollegen der Mordkommission ihre Fragen gestellt haben.«
    Im Innern des Reimershofes ist es irreal still. Hügel zwischen den Wänden, manche bloß hüfthoch, andere ragen drei, vier Meter weit auf, ein Gebirge aus zertrümmerten Ziegeln, angeschwärzten Balken, verdrehten Kabeln und zersplitterten Fliesen. Gras überzieht einige flachere Stellen, mitten in der Ruine reckt sich eine Birke schon bis zu der Höhe empor, in der früher einmal der Fußboden der zweiten Etage gewesen sein muss. Keine Stelle ist eben, bei jedem Schritt knirscht es unter Staves Sohlen, manchmal rollen Steinchen die Abhänge herunter. Da die Außenmauern den Wind abhalten, fällt der Niesel in feinen, geraden Schleiern herunter, die Trümmer glänzen, es scheint ihm hier stärker zu regnen als draußen.
    In der der Reimersbrücke abgewandten Seite klafft eine große Lücke. Dort ist die Wand auf einer Breite von mindestens fünf Metern nach innen gekippt.
    »Die Trümmerfrauen standen zum Glück an der Außenseite«, erklärt Ramdohr. Unwillkürlich hat er seine Stimme gesenkt.
    Der Oberinspektor nickt und tritt näher. Unter dem Gewicht der herabstürzenden Ziegel ist ein Gewölbe eingebrochen, das zuvor unter Trümmern verborgen gewesen sein muss. Der Keller, vermutet der Kripo-Beamte. An einer Stelle, die vielleicht einmal ein Lagerraum gewesen ist, jetzt aber wie eine Grube aussieht, in die Steine von allen Seiten hereingerutscht sind, stehen mehrere Schupos und ein Kollege in Zivil, den Stave nicht kennt. Er nickt einen flüchtigen Gruß herüber, geht jedoch nicht hinüber. Er kann einen Körper erkennen – eine skelettierte Leiche, Kleidungsreste über Knochen und ledriger Haut, das Grinsen eines Totenschädels. Der liegt nicht erst seit gestern hier, denkt er. Dann schüttelt er den Kopf. Kümmere dich nicht darum.
    Der Oberwachtmeister führt ihn zu einer Grube am Rande des Kellereinbruchs, kaum mehr als eine Delle im Schutt.
    »Hier ist Ihr Fall, Herr Oberinspektor.«
    Stave erkennt zunächst gar nichts, doch als er in die Senke steigt, hält er für einen Moment erschrocken inne, weil er beinahe in ein Gesicht getreten wäre. Ein Kopf, halb verborgen unter pulverisierten, im Regen zu einer schlammigen Masse aufgeweichten Ziegeln. Behutsam wischt der Oberinspektor den Dreck beiseite. Ein Frauenkopf, lebensgroß, aus braunrotem Metall. Bronze, vermutet der Kripo-Beamte, auch wenn er kein Experte ist. Das Metall ist an den meisten Stellen mit Grünspan oder einer dünnen, schorfigen weißen Schicht überzogen, wie Flechten. Trotzdem kann er Züge erkennen: große Augen, eine leicht nach links gebogene Nase, ein lächelnder Mund. Ein Teil des Halsansatzes ist weggebrochen, ansonsten scheint die Büste unbeschädigt zu sein. Moderne Kunst wohl, sagt er sich, auch wenn er diese Skulptur noch nie gesehen hat. Wäre schön, wenn Anna hier wäre. Nicht nur wegen der Kunst. Stave schüttelt den Kopf, unzufrieden mit sich selbst. Das ist dein erster neuer Fall, lass dich nicht ablenken.
    »Die Trümmerfrauen hätten uns dieses Zeug hier garantiert nicht gemeldet«, brummt Ramdohr vom Rand der Grube, »sondern unter einem Kittel mitgenommen und an
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