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Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)

Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Cay Rademacher
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wollen Sie dann wechseln? Zur Mordkommission kommen nur unsere Besten. Ich selbst habe Sie dorthin versetzt. Die Arbeit da war sicher spannender als die, die Sie vorher gemacht haben.«
    Ein feiner Hinweis darauf, dass die Nazis Stave kaltgestellt hatten – und dass ihm das auch in den neuen Zeiten wieder drohen könnte. Was soll Stave antworten? Dass er einem wie Dönnecke nicht mehr über den Weg laufen möchte? Dass er sich bei jedem Kollegen fortan fragen würde, ob der zu denen gehört, die seine ehemalige Sekretärin als »Veronika« geschmäht haben? Dass er sich bei der Mordkommission so tief in Fälle eingegraben hatte, dass er keine Zeit mehr hatte für seinen Sohn und die einzige Frau, die er liebt?
    »Das ist eine komplizierte Geschichte«, erwidert er.
    »Es gehört zu meiner Arbeit, komplizierte Geschichten zu einem einfachen Ende zu führen«, brummt Breuer. »Haben Sie Angst, dass ich Ihnen Vorwürfe mache, weil Sie sich niederschießen ließen? Oder dass ich Sie nach der Abreibung frage, die man dem Kerl in der Ruine verpasst hat?«
    »Nein. Das eine ist Berufsrisiko. Das andere ist Oberinspektor Dönneckes und Ihre Angelegenheit.«
    Breuer murmelt Unverständliches, doch er holt einen Ordner hervor und blättert in den Akten. »Wohin wollen Sie denn?«
    »Zum Chefamt S.«
    Sein Vorgesetzter knallt den Ordner wieder zu. »Was ist los mit Ihnen, Stave? Kinder, seid Ihr denn alle verrückt geworden? Was will einer wie Sie bei der Abteilung, die den Schwarzmarkt bekämpft?«
    »Das ist eine wichtige Arbeit.«
    »Das war eine wichtige Arbeit! Waren Sie denn die letzten Wochen im Krankenhaus gar nicht bei Bewusstsein? Haben Sie nichts gehört?«
    »Vom Tag X?«
    »Dem Tag X, in der Tat. Seit Wochen schwirren Gerüchte herum: Wir kriegen neues Geld. Fort mit der alten, wertlosen Reichsmark! Das ist nur noch Altpapier. Irgendwann geben uns die Alliierten eine neue Währung. Keiner weiß wann, keiner weiß, wie alles werden wird, aber jeder hofft das Beste. Die Schaufenster der Läden sind noch leerer als sonst. Die Leute nehmen ihre Reichsmarklappen und zahlen bündelweise für alles, was sie trotzdem noch kriegen können. Sie glauben gar nicht, wie voll die Theater und Kinos sind. So viele Kulturinteressierte gab es noch nie, da die Kultur ja praktisch nichts mehr kostet. Wer weiß, ob man nicht nächste Woche die Tausendmarkscheine nur noch als Toilettenpapier verwenden kann?«
    »Klingt doch nach goldenen Zeiten für den Schwarzmarkt.«
    »Unsinn. Das ist das erste Mal, seit die Nazis verschwunden sind, dass ich nervöse Schieber gesehen habe. Niemand weiß, was mit der neuen Währung kommt. Vielleicht kollabiert ja die Wirtschaft endgültig. Dann gibt es aber auch nichts mehr auf dem Schwarzmarkt zu verhökern, dann werden wir alle wieder Bauern und graben in Holstein die Felder um. Aber vielleicht funktioniert es ja auch: Dann werden die Menschen wieder richtiges Geld verdienen und richtige Waren in richtigen Geschäften kaufen, so wie in der guten, alten Zeit. So oder so: Wer braucht da noch den Schwarzmarkt? Und da wollen sie zum Chefamt S, wo sie den Schwarzmarkt bekämpfen!« Breuer klopft auf den Ordner. »Ich habe hier ein Dutzend Versetzungsgesuche von Kollegen: weg vom Chefamt S, egal wohin! Wenn ich Sie bestrafen wollte, Stave, dann würde ich sie zum Chefamt S versetzen.«
    »Sie belohnen mich.« Zum ersten Mal lächelt der Oberinspektor. »Im Krankenhaus kann man nicht viel tun, außer die Risse im Wandputz zu zählen und nachzudenken. Ich habe nicht nur an den Schwarzmarkt gedacht, Chef, sondern auch an die Ruinen, an die kaputten Straßen, an den Strom, den man uns immer wieder abschaltet, an die zerbombten Werften, die zertrümmerten Bahnhöfe, an die klapprigen, qualmenden Vorkriegsautos mit Holzvergasern, an die Schuhe aus zerschnittenen Gummireifen und die Kleider aus umgenähten Fallschirmen. Auf absehbare Zeit wird kein Deutscher mehr nach Russland oder sonst wo in der Welt einmarschieren. Überhaupt wird die Welt wenig von uns wissen wollen. Wir sind allein, und uns bleibt gar nichts anderes übrig, als den Trümmerhaufen wieder aufzubauen. Goldene Zeiten für findige Leute – ob nun Schwarzhändler oder ehrliche Kaufmänner. Viel Geld wird fließen, sehr viel Geld, in welcher Währung auch immer. Und wo viel Geld fließt, da sind die Kriminellen nie weit. Mag sein, dass das Chefamt S abstirbt. Aber daraus wird eine Abteilung für Wirtschaftsdelikte werden, das geht gar nicht
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