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Der erste Weltkrieg

Der erste Weltkrieg

Titel: Der erste Weltkrieg
Autoren: Volker Berghahn
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kritischen Kriegsjahren immer wieder gestemmt hatte, erst im Moment der Niederlage zugestanden wurde. Das deutet auf tiefer liegende Motive hin, die Ludendorff dann auch prompt folgendermaßen formulierte: Er habe, so sagte er, den Kaiser gebeten, jene Parlamentarier in die Regierung zu bringen, die für die Niederlage weitgehend verantwortlich seien. Mit dem Eintritt dieser Herren in die Ministerien stünden sie nun vor der Aufgabe, den unvermeidlichen Frieden zu schließen und damit die Suppe auslöffeln zu müssen, die sie den Deutschen eingebrockt hätten.
    Indem Ludendorff ganz kaltblütig die Schuld an dem Weltkrieg und seinem Ausgang auf den Reichstag schob, stahl er sich und die Armee aus der Verantwortung. Den Parteiführern, unter denen sich auch der SPD-Führer Friedrich Ebert befand, wird der Zynismus des Hintze-Plans kaum entgangen sein. Und doch glaubten sie, in der Stunde des deutschen Zusammenbruchs keine andere Wahl zu haben, als die schwere Bürde zu übernehmen. Durch ihre Unterstützung einer hintzeschen «Revolution von oben» hofften sie, eine «Revolution von unten» zu verhindern. Es kann kein Zweifel bestehen, dass ihnen dabei das russische Beispiel des Vorjahres warnend vor Augen stand.
    Es bestehen weitere Parallelen zu der Entwicklung in Russland vor der Revolution im Februar 1917. Als die Massen in Berlin und anderswo Anfang November 1918 die Abdankung des Kaisers verlangten, kam für einen kurzen Moment der Gedanke auf, den Kronprinzen, ähnlich wie den Großherzog Mikail, zum Regenten einzusetzen und damit die Institution der Monarchie zu retten. Freilich ging es in Berlin nicht darum, das Hohenzollern-Regime in seiner alten Form, sondern die konstitutionelleMonarchie zu bewahren, die im Oktober unter Prinz Max entstanden war. Es ist bedeutsam, dass es Ebert war, der am 6. November General Groener bat, Wilhelm II. zur Abdankung zu bewegen und eine Regentschaft des Kronprinzen zu ermöglichen. Zwar lehnte Groener dieses Ansinnen ab; doch zeigt Eberts Initiative, wie groß die Sorge im Reichstag war, dass die Oktober-Revolution «von oben» durch eine Revolution «von unten» hinweggefegt werden würde. Die «Opferung» des Kaisers, so hoffte Ebert, würde die Gefahr einer radikalen Lösung bannen.
    Indessen hatten sich zwischenzeitlich die Chancen einer solchen Radikalisierung durch eine geradezu kriminelle Entscheidung der Admiralität erheblich erhöht. In einem geheimen Schreiben befahl Admiral Reinhard Scheer Anfang November der Hochseeflotte in Wilhelmshaven, zu einer letzten großen Schlacht gegen die Royal Navy in die Nordsee auszulaufen. Angesichts der Unterlegenheit der deutschen Flotte war dies ein Himmelfahrtsunternehmen. Es war auch klar, dass die Admiräle mit dieser Aktion dem Reichskanzler und seiner Regierung in den Rücken fielen, die im Oktober Waffenstillstandsverhandlungen mit den Alliierten eingeleitet hatten. Doch die Marine verfolgte mit ihrem Plan ein «höheres» Ziel. Während die Armee heroisch gekämpft hatte und folglich damit rechnen konnte, ihr Prestige über die militärische Niederlage hinwegzuretten, hatte die teure Flotte keine vergleichbaren Leistungen vorzuweisen. Sie hatte den Krieg vor allem im Hafen verbracht und den U-Booten den Kampf überlassen. Nun sollte die Zukunft der Marine mit Hilfe einer spektakulären Seeschlacht bis zur letzten Granate gesichert werden. Dieses Ziel rechtfertigte in den Augen Scheers und seiner Offizierskameraden den zu erwartenden Tod von Tausenden von Matrosen.
    Scheer konnte jedoch nicht verhindern, dass Gerüchte über den Plan aufkamen. Die Matrosen wollten nach Hause und dachten nicht daran, in der Nordsee den nassen Tod zu finden, während die Regierung schon über einen Waffenstillstand verhandelte. Sie verweigerten die Ausfahrt, woraufhin der Kommandierende Admiral die Operation abbrach und die Schlachtschiffedurch den Nord-Ostsee-Kanal nach Kiel schickte. Dort angekommen, verbrüderten sich die Matrosen mit den demonstrierenden Kameraden und Arbeitern. Streiks und Massenversammlungen breiteten sich nun wie ein Lauffeuer aus. Die Revolution «von unten» war nicht mehr aufzuhalten.
    Ähnlich wie Nikolaus II. im Februar 1917 hörte sein Vetter Wilhelm, abgeschnitten von den Realitäten in seinem Hauptquartier in Spa an der deutsch-belgischen Grenze, von den Unruhen in der Heimat. Er war empört und verkündete im Kreise seiner Generäle, dass er jetzt an der Spitze seiner Truppen nach Berlin marschieren wolle,
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