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Der erste Weltkrieg

Der erste Weltkrieg

Titel: Der erste Weltkrieg
Autoren: Volker Berghahn
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der Marine auf der Höhe des Krieges in sehr bezeichnender Weise: Während in der Offiziersmesse der im Hafen liegenden Schlachtschiffe weiterhin getafelt wurde, wurde den Mannschaften eine wässrige, als «Drahtverhau» titulierte Kohlsuppe aufgetischt.
    Die Polarisierung der Kräfte, die durch solche und Tausende von anderen kleinen Wirklichkeiten der täglichen Kriegserfahrung unaufhaltsam gefördert wurde, führte schließlich zu einem massiven «Streik» sowohl der Soldaten als auch der Zivilisten, die durch ihren Widerstand in den Straßen der großen Städte und das Verlassen ihrer Schützenlöcher an der Front dem Monarchen und seinen Beratern signalisierten, dass es so nicht weitergehe. Bei dieser schnell anschwellenden Oppositionsbewegung spielten die schlechte und ungleiche Versorgung und das unverminderte Sterben an der Front eine besonders wichtige Rolle. Wie es in der Heimat 1918 materiell aussah, ist bereits geschildert worden. Die Versuche der OHL, ab 1916 durch eine totale Mobilisierung des Arbeits- und Industriepotenzials des Landes einen deutschen Endsieg vorzubereiten, spaltete die Gesellschaft in zwei große und tief verfeindete Lager. Das eine setzte weiterhin alles auf einen «Siegfrieden»; das andere trat für einen sofortigen Waffenstillstand und Kompromiss ein.
    Dementspechend nahmen auch die Demonstrationen in den Städten, die zuerst auf eine bessere Versorgung abzielten, mehr und mehr politische Formen an. Dabei wurde die Kriegszielfrage zu einem zentralen und immer hitzigeren Streitpunkt. Bethmann hatte dieses Konfliktpotenzial zu Beginn des Krieges gefürchtet und sich daher lange Zeit bemüht, die Diskussion über Territorialgewinne, von denen viele Unternehmer, Militärs sowie nationalliberale und konservative Politiker träumten, von der Öffentlichkeit fern zu halten. Doch inzwischen war zu der Idee einer Ablenkung von der inneren Krise durch die Proklamierung riesiger Annexionspläne, die Hugenberg so zynisch im November 1914 vorgetragen hatte, bei den Verantwortlichen die Versuchung gekommen, über die Kriegszielfrage an nationalistische Sammlungsinstinkte zu appellieren. An dieser Fragesollte sich erweisen, ob man ein «Reichsfreund» oder ein «vaterlandsloser Geselle» war.
    Auch hier zeigte sich eine innenpolitische Seite: Ein Sieg würde eine von Hugenberg angedeutete und von den Konservativen gefürchtete Veränderung der inneren Machtstruktur verhindern; ein Kompromissfrieden würde die Schwäche der Monarchie verdeutlichen und damit reformistischen oder gar revolutionären Kräften Auftrieb geben. Das waren Entwicklungen und Versuchungen, die es in Ansätzen zwar auch in Frankreich und England gab. Doch sahen wir bereits, dass dort der innere Zusammenhalt der Gesellschaft und das Vertrauen in die Entscheidungen der Regierungsträger größer blieben. Das hing mit der Verfassungsstruktur des britischen und französischen Systems zusammen, aber auch damit, dass infolge der besseren Versorgung die Verzweiflung der Bevölkerung nie so groß wurde wie in Zentraleuropa.
    Nun gab es – wie auch in Russland – im Reich Kräfte der politischen Mitte, die versuchten, eine Sammlung der Gemäßigten zwischen den beiden Flügeln zu schaffen. Sie wollten mit dem Anpacken oder zumindest dem Versprechen von Verfassungsänderungen und der Formulierung nur moderater Kriegsziele die Siegeszuversicht in breiten Bevölkerungsschichten erhalten. In diesem Zusammenhang sind zum einen die Friedensfühler zu sehen, die Bethmann im Frühjahr 1917 ausstreckte. Er scheiterte indessen nicht nur, wie erwähnt, an der ablehnenden Haltung Londons, sondern auch an der deutschen Wiederaufnahme des uneingeschränkten U-Boot-Krieges. Hier obsiegten die OHL und die sie stützenden konservativen Kräfte, die sich nur einen deutschen Endsieg vorstellen konnten, weil ein solcher die Monarchie zugleich von dem Druck innenpolitischer Reformen entlasten würde.
    Aus Bethmanns Perspektive war es daher ganz logisch, dass er 1917 parallel zu seinen außenpolitischen Friedensfühlern die Frage ebendieser Verfassungsreformen in die Diskussion brachte, nachdem die Kriegszieldebatte jetzt doch nicht mehr zurückzudrängen war. Einen ersten Höhepunkt erreichte diese Strategie des Reichskanzlers im April 1917, als er Wilhelm II. zur Verkündungeiner Oster-Botschaft überredete. Darin wurde für den Fall eines deutschen Sieges eine Reform des preußischen Wahlrechts versprochen, das bisher die Stimmen sehr ungleich in
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