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Der erste Weltkrieg

Der erste Weltkrieg

Titel: Der erste Weltkrieg
Autoren: Volker Berghahn
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kulminierte.
    Nach einem weiteren bitteren Winter des Hungers und der Verzweiflung über die vielen Toten lief die Eskalation zwischen den beiden politischen Lagern, die Dialektik von reaktionärer Politik «von oben» und Forderungen nach Frieden und Verfassungswandel «von unten» Anfang 1918 fort. Die zahllosen kleineren Demonstrationen der Vorjahre für Brot und Frieden steigerten sich im Januar zu Massenstreiks der organisierten Arbeiterschaft. Auf diese antworteten die Behörden mit Polizeieinsätzen und Verhaftungen. Indessen ging die OHL nicht nur gegen den «inneren Feind» mit großer Härte vor. Vielmehr zeigte sie sich auch in der Außenpolitik unerbittlich.
    Es ist wichtig, diese Politik im Auge zu behalten, wenn man die Ereignisse des Herbstes 1918 und den Zusammenbruch der beiden zentraleuropäischen Monarchien wie auch die Wirkung der «Dolchstoßlegende» verstehen will. Das war die Lüge, wonach nicht die OHL und der Kaiser für die Niederlage von 1918 verantwortlich waren, sondern die Demonstranten und andere «subversive Elemente», die der angeblich «unbesiegten Armee» von der Heimat her in den Rücken gefallen seien. Man kann sich auch heute noch nur die Haare raufen, wenn man die hanebüchenen Argumente der Weimarer Antisemiten und deren Agitation gegen die so genannten «Novemberverbrecher» von 1918 nachliest.
    Während die Deutschen gebannt auf die Frühjahrsoffensive im Westen und deren langsames Scheitern starrten, sah es in Österreich-Ungarn noch schlechter aus. Dort waren zuerst Teile der Habsburger Armee an der Isonzo-Front buchstäblich verblutet. Von den eingesetzten 15 Divisionen war die Stärke von sieben von ihnen auf ein Drittel geschrumpft, und drei hatten die Hälfte ihrer Mannschaften und Offiziere verloren. Krankheit und Unterernährung waren weit verbreitet. Wie das deutsche Heer befand sich auch die österreichisch-ungarischeArmee im September 1918 in voller Auflösung. Am 1. Oktober begann der Rückzug auf dem Balkan, während die Italiener eine große Streitmacht für einen letzten Angriff an der Südfront zusammenzogen. Unfähig zu weiterem Widerstand, akzeptierte Wien am 2. November die italienischen Waffenstillstandsbedingungen.
    Mit der Habsburger Armee zerfiel auch die Doppelmonarchie. Am 28. Oktober wurde in Prag ein tschechischer Staat proklamiert. Kroatien und Slowenien sagten sich einen Tag später los. In Österreich und Ungarn herrschte derweil das Chaos. Zwar hatte Kaiser Karl als Nachfolger des 1916 verstorbenen Franz Joseph noch einmal versucht, das Reich durch eine Verfassungsreform zu retten. Doch genügte es, dass die verschiedenen Nationalitäten die Pläne ablehnten, um sie zu den Akten zu legen. Die Soldaten der einst stolzen Habsburger Armee konnten nicht schnell genug die Front hinter sich lassen und marschierten einfach nach Hause. Die Monarchie hatte aufgehört zu existieren.
    Bei den Deutschen dauerte das Eingeständnis der Niederlage etwas länger und bedurfte einiger dramatischer Wendungen. Nachdem Ludendorff Wilhelm II. am 29. September mitgeteilt hatte, dass der Krieg militärisch verloren war, entwickelte Paul von Hintze, der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, einen raffinierten Plan. Er meinte wohl zu Recht, dass das Chaos und eine Revolution nach russischem Vorbild drohten, wenn nicht sofort eine Verfassungsänderung verkündet würde. Durch sie sollte die Reichsleitung hinfort nicht nach dem alleinigen Willen des Kaisers gebildet werden, sondern aus den Mehrheitsparteien im Reichstag hervorgehen. Mit anderen Worten, Hintze schlug eine Parlamentarisierung der Reichsverfassung vor. Das Machtzentrum sollte von der Krone auf die Volksvertretung verschoben werden.
    Ludendorff und Wilhelm II. stimmten diesem Vorschlag schließlich zu. Verhandlungen mit den Führern der Reichstagsparteien wurden eingeleitet, die sich in der Stunde der Not nicht verweigern konnten und wollten. Georg Graf Hertling, der Michaelis als Reichskanzler ersetzt hatte, trat zurück. Der alsliberal bekannte Prinz Max von Baden übernahm die Führung. In sein Kabinett traten mit Zustimmung ihrer Parteien Vertreter einer neuen Links-Mitte-Koalition ein. Deutschland hatte eine konstitutionelle Monarchie nach britischem Vorbild.
    Bevor dieser Schachzug des alten Regimes jedoch als eine verfassungspolitisch weitsichtige Meisterleistung gelobt wird, ist daran zu erinnern, dass eine Parlamentarisierung, gegen die sich der Monarch in Friedenszeiten und selbst in den
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