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Der elektrische Kuss - Roman

Titel: Der elektrische Kuss - Roman
Autoren: Susanne Betz
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über dem Kopf unmöglich.
    Genau das sagte sie auch Franklin, als er das nächste Mal auf den Hochstettler-Hof kam. Was öfters der Fall war. Denn Franklin schien pausenlos unterwegs zu sein. Sein Pferd, so scherzte er, fände die Straße des Königs, wie die gut befestigte Strecke zwischen Philadelphia und Lancaster hieß, im Schlaf. Von da war es dann nicht mehr weit bis Ephrata. Miller hatte er kurzerhand einen Auftrag gegeben. Das Kloster druckte ihm Bücher, zu den dort üblich niedrigen Preisen. Franklin verkaufte sie in seinem eigenen Unternehmen erheblich teurer weiter. Dementsprechend gut gelaunt half er Charlotte, weitere Schnüre mit Apfelscheiben unter dem Dach aufzuhängen. Bei dieser Gelegenheit zeigte sie ihm auch ihre Elektrisiermaschine, die wie auch schon im Steinhaus ganz oben stand. Weil die Treppe steil und Franklin nicht mehr der Jüngste war und keuchte, hatten sie sich zunächst auf ein Bett gesetzt. In gebührendem Abstand. Erst als sie ihn fragte, wie er es sich denn erkläre, dass es nachweislich diese Unterschiede bei der Elektrizität gebe, rückte er näher.
    »Es gibt nur eine einzige elektrische Flüssigkeit. Ist in einem Stoff zu viel von ihr, dann ist er positiv geladen. Gibt es in ihm davon zu wenig, ist er negativ geladen. Wie in den Bilanzen im Geschäftsleben eben auch.«
    Franklins Hand schob sich langsam auf ihr Knie.
    »Das Fluidum wird von Gegenständen angezogen, die zu wenige elektrische Teilchen in sich haben.«
    Nach einer kleinen Pause, in der sich sein Atem wieder normalisiert hatte, setzte er hinzu:
    »Ein Prinzip, das übrigens auf alles übertragbar ist, auch auf Menschen.«
    »Na ja, dann wohl auch auf Apfelringe«, meinte Charlotte lakonisch und stand auf. Dass sie sich bei ihren Treffen manchmal stritten, ließ sich nicht vermeiden. Denn Charlotte dachte viel über das nach, was er ihr sagte, und las auch wieder in Nollets und Dufays Büchern. Nein, die unitaristische Theorie, wie Franklin sein Gedankengebäude nannte, überzeugte sie nicht restlos. Deshalb traktierte sie ihn immer wieder mit der Frage, wie er denn gefälligst die gegenseitige Abstoßung negativ geladener Körper erklären wolle. Er holte dann jedes Mal zu langen Monologen aus, an deren Ende Charlotte immer noch die Stirn in Falten legte und neue Zweifel anmeldete. Gerade deshalb besuchte er sie wieder.
    Von Samuel, der inzwischen recht gut Englisch sprach, ließ sich Franklin alles über Kleeanbau und dessen positive Auswirkungen auf das nächstjährige Getreide erklären. Eifrig kritzelte er alles, was er hörte, in einen kleinen Notizblock. In seinem Kopf entstand bereits ein komplettes Kapitel über die Steigerung der Fruchtbarkeit des Bodens für »Poor Richard’s Almanach«.
    Am letzten Sonntag im Oktober kamen viele Mitglieder der amischen Gemeinden von Conestoga und sogar vom Maiden Creek, von Northkill und Tulpehocken zu den Hochstettlers auf den Hof. Sie brachten wie zu jedem Gottesdienst ihre Kinder und reichlich Essen mit. Sie sangen wie immer aus dem »Ausbund«, auch das Lied vom »Mägdelein von Gliedern zart, lieblich, schön von guter Art«, das vor zweihundert Jahren zu Tode gefoltert worden war. Charlotte summte ein paar dunkle Töne mit und schaute in die Ferne. Die Gemeinde nahm ihre Anwesenheit stillschweigend zur Kenntnis, Rebecca Lapp allerdings küsste sie zur Begrüßung. Schließlich las Samuel noch über eine Stunde aus dem »Märtyrerspiegel« vor, der sein Hochzeitsgeschenk war. Dann traute der bebrillte Älteste vom Maiden Creek Sarah und Johann. Am Abend gingen die beiden zusammen in das honiggelbe Zimmer unterm Dach. Charlotte hatte zuvor die schwere blaue Steppdecke über das Bett gebreitet. Heimlich schenkte sie Sarah eines ihrer seidenen Hemden. Zart und wie ein champagnerfarbenes Blütenblatt fühlte es sich an. Champagner! Hier in der Wildnis. Charlotte lachte bei dem Gedanken über sich selbst. Aber Franklin hatte ihr gesagt, dass in Philadelphia sehr wohl Champagner getrunken wurde.
    »Du kannst es von Zeit zu Zeit anziehen, wenn du allein bist.«
    Sarah nickte und rieb den dünnen Stoff zwischen ihren Fingern. Für ein paar Minuten tanzten die beiden wieder ein Menuett zusammen. Aber nur Sarah hörte die Musik dazu.
    »Ich danke dir sehr, Charlotte. Für alles, das Hemd, für die Pantoffeln, für das auf dem Schiff … du weißt schon, und dass du mit uns nach Amerika gekommen bist.«
    So einen langen Satz hatte Sarah schon lange nicht mehr
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