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Der elektrische Kuss - Roman

Titel: Der elektrische Kuss - Roman
Autoren: Susanne Betz
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dieses kuriosen Mannes stand. Schweigend, aber leidenschaftlich feuerte Sarah ihre Freundin an.
    »Haben Sie mir eigentlich auf meinen Brief geantwortet, Mr. Franklin … Dr. Franklin?«
    Weiß Gott, diese Frau gefiel ihm. Sie verstand es, Spannung zu erzeugen. Außerdem schien sie zu wissen, worum es bei der Abstoßung und Anziehung zwischen den Körpern ging. Franklin reichte Charlotte seinen Arm.
    »Sie und ich müssen so viel über das Fluidum und seine unbegrenzten Möglichkeiten sprechen, dass ich vorschlage, wir machen einen kleinen Spaziergang zusammen. Denn wir würden unsere Freunde nur langweilen. Es ist nämlich so«, sagte Franklin und löste Charlotte aus ihrer Gruppe, »dass ich glaube, dass im Normalzustand nur deshalb nichts von der Elektrizität zu spüren ist, weil sie zu gleichen Teilen vertreten ist. Verstehen Sie? Sie kompensieren sich gegenseitig exakt. Mit der Elektrisiermaschine können Sie und ich ein Ungleichgewicht herstellen.«
    Er zwinkerte ihr zu. Charlotte hing an seinen Lippen, saugte seine Worte auf. Wie lange hatte sie doch auf so einen Moment gewartet. Sie spürte förmlich, wie unter ihrer Kopfhaut eine der schönen, frisch geölten Maschinen von Monsieur la Mettrie zu laufen begann, sich Räder drehten. Charlotte hakte sich fester an Franklins Arm ein.
    »Vielleicht, Mrs. Geispitzheim, haben Sie ja auch schon gehört oder gelesen, dass ich an einem so praktischen Ding wie dem Blitzableiter für jedes Haus, für jede Scheune arbeite. Stellen Sie sich vor, was für eine Kostenersparnis, wenn nichts mehr abbrennen würde. Ich plane, meine Erfindung an jeden Haushalt in den Kolonien zu verkaufen. Ach, Ebenezer«, rief Franklin über seine Schulter, mit der rechten Hand schon auf der Türklinke, » sei doch bitte so freundlich und rede du mit Miller. Richte ihm aus, wenn er seine Bücher weiter zu so unverschämt billigen Konditionen druckt, werde ich ihm zeigen, was ein richtiger Preiskrieg ist.«
    Damit verschwanden Charlotte und Benjamin Franklin in den klaren sonnigen Tag und verloren sich auf den Kieswegen zwischen den Bäumen und verstreuten Häusern und Scheunen von Ephrata. Die Frauen in ihren weißen Kutten, an denen die Besucher und ihr Geplapper vorbeigerauscht waren wie ein kurzer Landregen, schrieben in dem dämmrigen Raum weiter akribisch die Noten für ihre überirdischen Gesänge, die Beisel für Ephrata komponiert hatte. Andere zeichneten mit scharfen Federn Blumen, Tauben und Buchstaben, die die Wiederkehr Jesu beschleunigen sollten.
    Herbststürme rissen schon die Eicheln von den Bäumen, als sie endlich die letzten Hafer- und Weizengarben, Körbe voller Maiskolben, Rüben, Kohlköpfe und dicke orangerote Kürbisse in die notdürftig abgedichteten Scheunen und Verschläge brachten. Aber noch immer wartete viel Arbeit. Sarah bereitete Sauerkraut zu, genauso wie sie es getan hatte, bevor sie die Pfalz verlassen hatten. Nur in viel größeren Mengen. Acht kniehohe irdene Töpfe, die sie in den kühlen Raum hinter die Küche gerollt und dort aufgestellt hatte, mussten gefüllt werden. Nur dann würde sie zufrieden, weil sicher sein, dass der Vorrat über den Winter reichen würde. Während sie hobelte und hobelte, zog sich Rebecca an ihren Röcken hoch und lernte, aufrecht zu stehen. Gelegentlich schaffte sie auch schon kurze Schritte. Dann beugte sich Sarah zu der Kleinen hinunter und gab ihr einen Kuss.
    Auch Charlottes Hände waren schwielig geworden und ihre Arme sonnenverbrannt und sehnig. Umso leichter fiel es ihr jetzt, Hunderte von kleinen narbigen Äpfeln, die sie von den wenigen Bäumen der Iren gepflückt und entkernt hatte, in Scheiben zu schneiden. Sie verteilte sie auf ein Brett und ließ sie von der Sonne antrocknen. Erst dann fädelte Charlotte sie auf lange Schnüre und spannte sie auf dem Dachboden von einer Schräge zur anderen. Wenn sie wieder aus dem Haus heraus ins Freie trat, um die Scheiben zu wenden oder im Gras unter den Bäumen nach weiteren Äpfeln zu suchen, war sie jedes Mal aufs Neue von der Farbe des Himmels überwältigt. Sodass sie eine Weil stand und schaute. Das Blau, das im Sommer durchsichtig, oft weiß betupft und leicht wie Glas gewesen war, dunkelte im Licht der Oktobersonne von Tag zu Tag mehr. Wolkenlos, herzzerreißend großartig und vielleicht, wenn man lange genug schaute, auch ein bisschen einfältig. Wie der Mantel der Maria in der katholischen Kirche, ging es Charlotte durch den Kopf. Nichts schien mit so einem Himmel
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