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Der elektrische Kuss - Roman

Titel: Der elektrische Kuss - Roman
Autoren: Susanne Betz
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so zu wenden, dass es gut durchtrocknete.
    Eines spätnachmittags, als sie gerade einen Schnakenstich am Ellenbogen aufkratzte und die Augen für einen Moment schloss, tauchte aus der flirrenden Hitze eine Gruppe vertrauter Gesichter auf: Ihre Mutter, behangen mit all dem Schmuck, den sie aus ihren Geheimverstecken hervorgekramt hatte, Manteuffel, Felix und auch ihr vor langer Zeit strangulierter Verlobter, der allerdings barfuß, saßen zusammen am Rand der Wiese im Schatten eines großen Hickorybaumes und starrten sie an. Keinem entgingen die untertassengroßen Schweißflecken in ihren Achseln. Charlotte schämte sich in Grund und Boden, stützte sich auf ihren Rechen und strich verlegen eine Strähne aus dem Gesicht. Sogleich ließ sich wieder ein Dutzend Fliegen auf ihr nieder. Ihr Teint war, wie ebenfalls jeder ihrer Besucher aus der Alten Welt sehen konnte, restlos verdorben. Der ihrer Mutter spannte sich dagegen kühl wie immer unter der dicken Schicht Bleiweiß. Felix sah hohlwangig und noch trauriger aus, als sie ihn in Erinnerung gehabt hatte. Der sächsische Graf tat so, als kennte er sie nicht mehr, und streckte seine Storchenbeine indigniert von sich. Nur Louis, der gute Louis, rief fröhlich gegen den warmen Wind, der durch die Zweige über seinem Kopf strich. Es hörte sich an wie: Was du da machst, sieht famos aus. Hast du noch einen Rechen für mich? Zwischen jeder seiner hübschen rosigen Zehen steckte ein kleiner runder Stein.
    Die Hitze schwappte feucht gegen Charlottes Stirn, und ihre Zaungäste lösten sich in einem schwarzen Schwarm Stechmücken auf. Sarah und die beiden erst vor wenigen Tagen auf den Hochstettler-Hof gekommenen Knechte schoben ohne Unterbrechung ihre Rechen durch das rösch knisternde Heu. Einen Steinwurf weiter schwang Samuel die Sense. An seiner Seite mähte Johann, denn von der Ernte, die sie einfuhren, würde auch er den Winter über leben. Unter dem Hickorybaum krabbelte nur noch ihre Tochter. Mit dem Rechen in der Hand lief Charlotte zu ihr hin und rückte ihr die verrutschte Haube auf dem Kopf zurecht. Dann arbeitete sie mit einem grimmigen Hochgefühl weiter.
    Eine Woche nach diesem Tagtraum trafen zwei Briefe für sie ein. Ein Viehhändler, der Rinder vom Maiden Creek Richtung Lancaster trieb, händigte sie ihr aus, denn sie waren vom Hafenmeister in Philadelphia ursprünglich an die Witwe geschickt worden. Abgestoßen, verschmiert, durch viele Hände gewandert. Zögerlich griff Charlotte nach ihnen, riss sie dann aber hastig auf. Der Viehhändler grinste sie anzüglich an, während er das Glas, das sie ihm gereicht hatte, leer trank. Der Brief ihrer Mutter war acht Monate, der, den Felix ihr geschrieben hatte, sechs Monate alt. Sie begannen mit fast identischen Worten: Der Fürst war gestorben. Welcher Fürst? Als ihr nach Sekunden der Zusammenhang aufging, brach Charlotte in ein haltloses Lachen aus, das am Schluss in ein Wiehern überging. Verdutzt schaute der Viehhändler sie an und trieb dann kopfschüttelnd seine Tiere zum Weitergehen an. Rebecca jauchzte und krabbelte quer durch die Küche. Den Rest der Briefe las Charlotte gleichzeitig, pickte sich mal aus dem einen, mal aus dem anderen einen Satz heraus.
    »Im Trubel nach seinem Tod habe ich noch eine paar kleine Schätze verschwinden lassen können. Ich wusste schließlich am besten, in welcher Schatulle was steckte.«
    Charlotte dachte unwillkürlich an den Bernsteinklumpen, den sie selbst vor langer Zeit aus dem Schloss entwendet hatte.
    »Ich begrüße es durchaus, dass Atheismus in Pennsylvania so etwas wie Bürgerrecht ist. In Nassau-Weilheim konzentrieren wir uns allerdings zunächst auf die Anschaffung und Ausrüstung eines Feuerwehrwagens. Der neue Fürst hat mir dafür die volle Verantwortung übertragen. Freiheit will außerdem gut geplant sein und darf nicht überstürzt werden. Ich muss auch noch mehr Fachliteratur darüber lesen.«
    Rebecca hangelte sich am Bein ihrer Mutter hoch und grabschte nach einem Briefbogen.
    »Als Erstes habe ich die Witwe Ammerling hinausgeschmissen und einen französischen Koch eingestellt, dann neue Vorhänge im Speisesaal anbringen lassen, in einem außergewöhnlich eleganten Erbswurstgrün. Setzen sich diese neuen Farben auch in der Neuen Welt durch? Dein Vater und ich spielen jetzt jede Nacht zusammen Pharao bis zum Morgengrauen. Die Bretzenheimsche Enkeltochter heiratet demnächst einen erst vor einem Jahr geadelten Bankier. Sonst geht es uns recht gut. Ein
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