Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der elektrische Kuss - Roman

Titel: Der elektrische Kuss - Roman
Autoren: Susanne Betz
Vom Netzwerk:
Bärli. Zumindest vermutete er, dass sie ihnen ähnelten. Tatsächlich bekamen die Bilder von der Zeit vor seiner großen Reise über den Atlantik seltsame Blasen und wellten sich, sodass er sich immer weniger sicher war, ob sie je existiert hatten. Die Reise in sein Inneres war kräftezehrend und sog seine Vorstellungskraft fast restlos auf. Dass Charlottes Hüfte dem eleganten Rückenschwung von La girafe glich, wusste er nur noch, weil er während der Tage im Zwischendeck sich einen Psalm dazu ausgedacht hatte, der sich für immer in seinem Gehirn wie ein Balken spreizte. Aber sehen konnte er die Hüfte nicht mehr, geschweige denn, mit seinen Gedanken fühlen.
    Sarah betrat das neue Haus als letzte, Rebecca saß auf ihrer Hüfte. Langsam glitten ihre Fingerkuppen über die Baumstämme, aus denen die Wände bestanden. An manchen Stellen hingen noch Rindenstreifen, woanders klebte Moos, grau und ausgefranst. Sie pickte ein Stück heraus, sah es sich genau an. Während Charlotte durch alle Zimmer gleichzeitig lief, wahllos Tassen, Teller, Zuckerhüte und Säckchen mit Kaffee verteilte und Kleiderstoffe probeweise vor die Fenster drapierte, stieg Sarah die Treppe hoch. Im Dachgeschoss angekommen, setzte sie Rebecca sanft auf den Boden, blieb stehen und schaute sich um. Sie sah ein Bettgestell und dem gegenüber ein Fenster, ein Rechteck, das aus der Holzwand ausgesägt war, mit zwei schiefen Läden, die man nachts schließen und verriegeln konnte. Durch die Ritzen zwischen den Stämmen schimmerte zusätzliches Licht. Der Raum war honiggelb eingetaucht und knisterte. Wahrscheinlich, vermutete Sarah, saßen noch viele Käfer und Spinnen zwischen den Stämmen. Als sie sich genug umgeschaut hatte, löste sie die Bänder ihrer Haube und setzte sie ab. Von draußen strich ein Wind herein, der ihr angenehm den Kopf kühlte. Hier würde sie also bald mit Johann schlafen. Hier würde er ihre Haare offen und sicher noch mehr von ihr sehen. In dem Bett an der Wand würde sie wahrscheinlich ihre gemeinsamen Kinder zur Welt bringen. Es war ganz einfach. Sie brauchte sich überhaupt nicht anzustrengen, um sich die bestickten Seidenpantoffeln ins Gedächtnis zu rufen, die ihr Charlotte einmal geschenkt hatte und die in dem Busch am Bach geblieben waren. In der Farbe der äußersten Blätter von glänzenden, harten Kohlköpfen. Mit einer aufgestickten Dame, die aus einem Land stammte, das wahrscheinlich so weit von der Pfalz entfernt lag wie Amerika, aber nicht die Heimat des Heilands war. Ihr bislang kostbarster Besitz. Sarah stellte sich vor, dass sie die Pantoffeln fein säuberlich nebeneinander unter dieses Bett stellte, das bald ihr Ehebett sein würde.
    Dann geschah etwas wirklich Merkwürdiges. Mit halbem Ohr bekam sie noch mit, wie unten ihr Vater mit Jakob schäkerte und sie zusammen zu den Scheunen gingen, dann setzte ein dünnes Summen an. Oder war es mehr ein Zirpen oder Fiepen, das entstand, wenn man mit einem feuchten Finger über den Rand eines Glases rieb? Diese Töne wurden jedenfalls lauter, füllten ihre beiden Ohren aus, so dass sie nichts anderes mehr hörte. Die Töne blieben nicht gleich, sondern hüpften, perlten. Sie teilten sich in viele unterschiedliche, die aber schnell hintereinander auf und ab und ineinander flossen. Fröhlich, ausgelassen. Sarah setzte sich auf das Bett und hörte zu. Wie lange sie das tat, wusste sie nicht. Aber als es aufhörte, wusste sie, dass es Musik gewesen war. Richtige Musik, von Instrumenten gespielt, zu der die Menschen in der Welt draußen tanzten. Sie würde in diesem Haus und in diesem Dachraum öfter Musik hören. Denn in der neuen Welt war so etwas möglich.
    Sarahs butterfarbenes, zimtgesprenkeltes Gesicht schimmerte glücklich, als sie mit Rebecca auf der Hüfte die Treppenstufen wieder nach unten stieg. Irgendetwas zwang Charlotte, den Stoff, den sie gerade in der Hand hielt, auf den Boden gleiten zu lassen, auf sie zu zueilen und sie zu umarmen. Alles wird gut, alles wird gut. Sarah blieb stumm. Aber ihre Kieselsteinaugen erzählten so lebhaft, wie sie damals geredet hatte, als sie mit Charlotte zum ersten Mal am Bach spazieren gegangen war.
    Der Sommer war schon fortgeschritten. Auf anderen Farmen hatten sie ihre Heuböden und Scheunen bereits über die Hälfte gefüllt. Samuel und seine Leute mussten gegen die Zeit arbeiten. Charlotte nahm es als Experiment und lernte das Getreide, das Samuel zügig mit der Sichel schnitt, ebenso zügig zu Garben zu binden und Heu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher