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Der elektrische Kuss - Roman

Titel: Der elektrische Kuss - Roman
Autoren: Susanne Betz
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Der Mann auf dem Pferd kam näher. Er winkte. Es war Samuel.
    In dem Moment hörte Charlotte zwischen den stillen Bohnen, Pfefferminzen und Kürbisstauden den aufdringlichen Monsieur schmatzen. Wahrscheinlich futterte er schon wieder Fleischpasteten. Tatsächlich rülpste La Mettrie genüsslich, bevor er höhnte: Schau genau hin, dein Hochstettler lächelt jetzt sogar noch mehr als zuvor. Den kannst du vergessen. Er kopuliert jetzt mit dem Heiligen Geist.
    Eine Woche später spannte Samuel seine beiden Pferde ein. Er wuchtete auch die Elektrisiermaschine wieder auf den Wagen. Nur die Reifröcke ließ Charlotte zurück, unmodern wie sie in der Neuen Welt nun mal waren. Die Witwe Yoder freute sich und überlegte, ob sie das Gestänge als Umzäunung für die Bohnen nutzen konnte, damit die Kaninchen nicht so leicht an die frischen Triebe herankamen. Als sie die strampelnde Rebecca zum Abschied an ihre flache Brust drückte, schluchzte sie. Danach glitt ihre feuchte salzige Wange kurz über Charlottes Gesicht. Nein, es war keine schlechte Zeit in dem Steinhaus am Maiden Creek gewesen. Charlotte hielt die Witwe länger im Arm als beim Abschied in Kirchheim ihre Mutter.
    Sarah musste ihren Vater am Ärmel zupfen, damit auch er sich von der Witwe verabschiedete. Gott sei mit dir. Ja, ja, Gott sei mit dir. Samuel wollte schnell weg. Von der spitzgiebeligen Witwe, ihrem Steinhaus, von möglichst allem. Schnell und endgültig an den Ort, wo sich der ersehnte Spalt in der Mauer auftat und er der Gegenwart und der Welt entschlüpfen konnte.
    Bei seinem zweiten Besuch in Ephrata hatte Samuel weder Beisel noch Miller mit den Blumenaugen getroffen, dafür so gut wie nichts gegessen und überhaupt nicht geschlafen. Er war um Mitternacht mit den Brüdern und Schwestern in den weißen Kutten zum Beten gegangen, weil das der Zeitpunkt war, zu dem Jesu Wiederkehr als am wahrscheinlichsten galt. In den frühen Morgenstunden wurde seine Askese belohnt. Samuel hörte Gott. Er sprach zu ihm.
    Zuerst im Bereich seines Schlüsselbeines und dann den Hals hinauf, bis es in seinem ganzen Kopf widerhallte und ihm abwechselnd heiß und kalt wurde. Es klang ähnlich dem hohen Piepen des Kolibris, tschilpend, tierisch, aber Samuel verstand jedes einzelne Wort. Als Gott schließlich wieder verstummte, merkte er, dass er in einer der Zellen neben der Pritsche auf dem Steinboden lag. Ausgekühlt von der Frostigkeit des Fremdartigen und Ewigen. Aber angekommen mitten im Land Kanaan.
    Auch die Gemeinde seiner amischen Brüder und Schwestern rückte jetzt an den Horizont wie ein Weizenfeld, das gute Ernte gebracht hatte, von dem aber nur noch Stoppeln übrig waren. Den Landkauf erledigte er am selben Nachmittag, müde und wie nebenbei in nicht einmal zwei Stunden.
    560 Acres Land, davon ein Drittel gerodetes Ackerland, gehörten auf einen Schlag ihm, Samuel Hochstettler aus der nördlichen Pfalz. Das war viel mehr, als zu Hause dem Herrn von Geispitzheim gehörte. Er würde nie mehr Pächter sein. Auf dem Großteil seines Landes stand noch dichter Wald. Vor allem Eichen, deren Boden bekanntermaßen am fruchtbarsten war. Es gab mehrere ergiebige Quellen, ein solides Blockhaus aus geschälten Walnussstämmen, zwar ohne Fensterscheiben, aber mit einem gut ziehenden Kamin an jeder Giebelseite. Die Zedernschindeln auf dem Dach würden auch schwere Schneelasten aushalten. Die Ställe und Scheunen allerdings befanden sich in einem liederlichen Zustand. Die bisherigen Besitzer, irische Siedler, hatten es eilig fortzukommen. In den Süden, vielleicht nach Carolina, sagten sie, wo man mit Tabak neuerdings viel Geld verdienen konnte und man im Winter nicht das Gefühl haben musste, in einem Krieg zu sein. Samuel sah auf dem Tisch in der Küche der Iren drei schimmernde Geigen liegen. Als ob sie gerade noch gespielt hätten. Er vermutete deshalb, dass sie nicht nur sündhaft, sondern auch noch faul waren. Nach dem Kauf reichte sein Geld gerade noch für Samen und ein Dutzend Kühe. Das Haus war groß genug für alle. Für Sarahs und Johann Stutzmans künftige Familie und auch für Charlotte und ihr kleines Mädchen. Das Beste an dem Kauf aber war, dass er von seinem Land zum Kloster von Ephrata nur eine halbe Stunde zu Fuß brauchte.
    Unterwegs vom Maiden Creek zum Cocalico fanden sie vor einer verlassenen Hütte einen winselnden Hund und nahmen ihn kurzerhand mit. Er hatte kein gelbes, sondern dunkelbraunes Fell voller Flöhe, aber seine Augen erinnerten Samuel an
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