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Der elektrische Kuss - Roman

Titel: Der elektrische Kuss - Roman
Autoren: Susanne Betz
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hatte. Ein Wunder. Die Elektrizität war also überall. Auch in Amerika. Sie starrte den braun gekleideten Fremden unverwandt an. Bebend, angespannt, fordernd. Wann würde sich je wieder so eine Gelegenheit bieten? Charlotte war klar, dass sie sie um jeden Preis nutzen musste. Auch wenn der Fremde sich als zweiter Manteuffel entpuppen sollte. Allerdings, das erkannte sie mit dem nächsten Wimpernschlag, dünne Waden hatte er nicht. Ganz im Gegenteil. Ansonsten glich der Fremde eher der Promenadenmischung von einem Hund, den sie unterwegs aufgelesen hatten und der jetzt in der Hütte vor dem Hochstettler-Hof lebte.
    Fettige dünne Haare hingen dem Mann auf die Schultern, seine Wangen sackten nach unten wie gefüllte Beutel. Als er seinen Hut abnahm, sah man einen fast kahlen Schädel. Seine hohe Stirn wölbte sich birnenförmig. Ein hässlicher Mann! Er küsste ihre Hand.
    »Franklin, Benjamin Franklin, gewählter Vertreter im Abgeordnetenhaus von Pennsylvania. Und das ist mein Freund und wissenschaftlicher Partner, Mr. Ebenezer Kinnersley.«
    Sarah nahm sofort wahr, dass die Augen ihrer Freundin sich weiteten und ihr Körper sich straffte. Auch atmete sie geräuschvoller aus als sonst. Nicht viel anderes hatte sie damals beobachtet, als Charlotte ihrem Vater in der Stube auf dem Muckentalerhof gegenübergestanden war und die beiden über das Für und Wider der Milchflasche gezankt hatten, mit der Jakob glücklicherweise am Ende dann doch gesäugt wurde. Hunde, die auf die Jagd mitgenommen wurden, verhielten sich so, wenn sie Witterung aufnahmen, das wusste Sarah. Wurde dabei ihr Blut wärmer oder kälter, lief es rascher? Seltsam war das schon. Jakob, den Charlotte an der Hand hielt, schien jedenfalls auch eine Veränderung zu spüren, denn er hob den Kopf und schaute sie prüfend an. Charlotte presste seine kleinen Finger unsanft zusammen, als sie erneut das Wort an den Fremden richtete.
    »Ich habe Ihnen geschrieben. Aus Deutschland.«
    Charlotte hörte ihre eigene Stimme unangenehm heiser und erregt. Wenigstens konnte er in dem schlechten Licht nicht sehen, dass ihr eine hitzige Röte ins Gesicht stieg. Jedenfalls hoffte sie das. Dafür blitzten seine kleinen Augen silbrigschwarz und rund wie Nagelköpfe auf.
    »Sie sind doch nicht etwa, nein, ich glaub es nicht … Miss Charlotte von Geispitzheim? «
    Charlotte nickte. Noch immer überwältigt.
    »Mrs., inzwischen bin ich verheiratet und äh, verwitwet«, murmelte Charlotte.
    Franklin entblößte einen braunen Zahn in der oberen Reihe. Der schnelle Wechsel von Charlottes Aggregatszuständen schien ihn zu amüsieren. Am meisten aber interessierte ihn ihr gegenwärtiges Auftreten, und das bestand für ihn aus einer vielversprechenden Hüfte, einem ebensolchen Busen, verpackt in ein modisches Kleid, und einem offensichtlich noch aparteren Verstand. Benjamin Franklin war deshalb ein so erfolgreicher Geschäftsmann in Sachen Erfindungen, Politik und Geld, weil er, wann immer neue Herausforderungen auf ihn zukamen, sie sofort als solche erkannte und sehr entschlossen für sich nutzte.
    »Ihr Brief, natürlich, ich kann jedes Wort auswendig. Neben all dem Geschwätz, das mich täglich erreicht, ein Genuss. Ach was, eine Inspiration.«
    Seine Hamsterbacken vibrierten. Er ignorierte Samuel Hochstettler, Johann Stutzmann, die beiden Kinder, nur der Schönheit Sarahs schenkte er einen kurzen Kennerblick. Ebenezer Kinnersley hinter ihm lächelte verlegen, hob und senkte die Schultern und bat stumm um Entschuldigung für seinen Freund. Benjamin Franklin ließ Charlotte keinen Moment aus den Augen. Aber nicht einmal ihre weiblichen Rundungen reizten ihn mehr. Seine Stimme senkte sich, wurde lauernd, gierig.
    »Sie schrieben, dass Sie mit der Elektrisiermaschine nach dem Modell von Professor Winkler arbeiten. Ich korrespondiere übrigens mit ihm. Und dann haben Sie noch erwähnt, dass Sie mit einem Drachen bei Gewitter experimentiert haben. Darf ich fragen, was genau Sie herausgefunden haben? «
    Er will sie gleich mit Haut und Haaren verschlucken, dachte Sarah und registrierte schon im selben Moment verwundert, dass Charlotte davor keineswegs Angst zu haben schien. Ganz im Gegenteil. So lebendig und glücklich hatte sie ihre Freundin schon lange nicht mehr gesehen. Aus ihrem Haar löste sich wie auf ein geheimes Kommando wieder einmal eine lange Strähne. Ihre Nasenflügel bebten, ihr Mund kräuselte sich. Ihre kurzzeitige Unsicherheit war verflogen. Charlotte hielt dem Blick
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