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Der Elbenschlaechter

Der Elbenschlaechter

Titel: Der Elbenschlaechter
Autoren: Jens Lossau , Jens Schumacher
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lange bevor der erste Stein Nophelets vor mehr als zwei Zyklen auf den anderen gesetzt worden war? Oder ob tatsächlich Verbindungen zwischen dem Büro des Geheimrats und uralten Teilen der Kanalisation existierten, an die sich seit Jahrtausenden niemand mehr erinnerte? Nein, all das störte Meister Lurentz nicht.
    Was ihn störte, war der Mann selbst.
    Nun, das war nicht ganz korrekt, korrigierte sich Meister Lurentz, während er die letzte Windung der Treppe umrundete und den Fuß der Wendeltreppe erreichte. Denn »Mann« war kaum der passende Ausdruck für das, was nur noch wenige Dutzend Schritte von ihm entfernt im ewigen Dämmerschatten saß und die Fäden einer jeden kriminologischen Ermittlung in Nophelet und einem Großteil Sdooms zog.
    Es war kein Geheimnis, dass Geheimrat K. ein Formwechsler war. Auch Meister Lurentz hatte dies gewusst, als er sich seinerzeit beim Institut beworben hatte. Vertreter dieser besonderen Rasse, deren Ursprünge irgendwo in grauer Vorzeit im Lande Enopacla zu suchen waren, traf man in Sdoom heute zwar nicht mehr allzu häufig an, dennoch war die besondere Fähigkeit des Geheimrats, sein äußeres Erscheinungsbild kraft seines Willens zu beeinflussen, seiner behördlichen Karriere nicht abträglich gewesen. Im Gegenteil …
    Meister Lurentz schüttelte den Kopf in einem verzweifelten Versuch, die absonderlichen Gerüchte aus seinen Gedanken zu vertreiben, die sich um den Geheimrat rankten. Halbherzig rief er sich die Ereignisse des zurückliegenden Tages ins Gedächtnis, wie er am frühen Morgen gemeinsam mit Meister Almudendus den Leichnam des getöteten Elbs aus den Kellern der Stadtwache abgeholt und in die Klinik transportiert hatte. Er versuchte, sich an die einzelnen Schritte der folgenden Autopsie zu erinnern, die zwar eigentümliche, jedoch kaum überraschende Resultate erbracht hatte, zumindest nicht unter Berücksichtigung der vorangegangenen Morde.
    Aber sosehr sich Meister Lurentz mühte, an Y-Einschnitte oberhalb des Brustbeins, geöffnete Bauchdecken und der Länge nach gespaltene Venen zu denken, immer wieder kehrten seine wirbelnden Gedanken zu den Dingen zurück, die man sich über den Obersten Lenker des IAIT seit dessen Amtsantritt vor knapp neunzig Jahren erzählte.
    Die meisten dieser Gerüchte drehten sich um den unerwarteten Rücktritt seines Vorgängers, Meister Antonowitsch. Der weltgewandte, allseits beliebte Institutsleiter war damals unter mysteriösen Umständen von einem auf den anderen Tag spurlos verschwunden. Zurück blieb lediglich ein Schriftstück, in welchem Antonowitsch sich in höchsten Tönen für Geheimrat K. als seinen Nachfolger aussprach.
    Böse Zungen behaupteten, die beiden Männer wären noch am

Tage von Antonowitschs Verschwinden in einer kurz zuvor unter dem Institut entdeckten Grotte zu einem Gespräch verabredet gewesen – jener Grotte, die wenig später dem Geheimrat als dauerhaftes administratives Domizil dienen sollte.
    Noch bösere Zungen behaupteten indes, Geheim rat K. habe sich während dieses Gesprächs, in welchem sich der bisherige Institutsleiter vehement weigerte, freiwillig seinen Posten zu räumen, in einen riesenhaften Frosch verwandelt und den armen Meister Antonowitsch kurzerhand verschlungen.
    Woher sie all dies wissen wollten und wie in diesem Fall das von Antonowitsch höchstselbst unterzeichnete Schriftstück zu erklären sei, darüber schwiegen sich böse wie noch bösere Zungen beharrlich aus. Und selbstverständlich wagte niemand, dem Geheimrat gegenüber diesbezüglich auch nur den leisesten Hauch einer Andeutung fallen zu lassen. Nichtsdestotrotz wurde der Geheimrat eingedenk der sonderbaren Geschichte in gewissen Kreisen scherzhaft »das Maul« genannt – wohlgemerkt nur dann, wenn er gerade nachweislich sehr, sehr weit entfernt war.
    Meister Lurentz ließ die letzte Fackel des Treppenhauses hinter sich und hielt inne. Vor ihm ragte eine nachtschwarze, mit üppigen Schnitzereien verzierte Tür in die Höhe, die vorletzte Barriere, die ihn vom Allerheiligsten des IAIT-Leiters trennte.
    Der Heiler schluckte. Er streckte die Hand nach dem kunstvoll geschmiedeten Knauf aus, doch sein Arm bewegte sich immer langsamer, bis er starr wie eine Statue stand. Für einen kurzen Moment schien sein körperlicher Widerwille, dem Geschöpf auf der anderen Seite der Schleuse gegenüberzutreten, schier unüberwindlich.
    Neben all den Gerüchten gab es nämlich noch eine weitere Tatsache in Bezug auf den Geheimrat, die
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