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Der Elbenschlaechter

Der Elbenschlaechter

Titel: Der Elbenschlaechter
Autoren: Jens Lossau , Jens Schumacher
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Meister Lurentz -ebenso wie ein Großteil der IAIT-Beamten – als nachhaltig verstörend empfand.
    Gewöhnlich besaßen Formwechsler eine feste Grundgestalt, ihr angeborenes Erscheinungsbild, welches sie ab einem gewissen Alter, entsprechende Übung vorausgesetzt, beliebig verändern konnten. Nach einer bestimmten Frist mussten sie stets in diese Form zurückkehren, sei es, um zu schlafen oder ihrer polymorphen Körpersubstanz die nötige Regeneration zu ermöglichen.
    Nicht so der Oberste Lenker.
    Niemand wusste, wie Geheimrat K. wirklich aussah. Es schien, als besäße er keine originäre Gestalt, denn niemand konnte sich entsinnen, ihn je zweimal in der gleichen Form gesehen zu haben. Wenngleich »sehen« in diesem Zusammenhang wiederum kaum der passende Ausdruck war, verließ der Institutsleiter doch nur selten sein unterirdisches Domizil, und wenn, vorzugsweise bei Nacht. Im Innern seiner immerfeuchten Grotte herrschte ein undurchdringliches Zwielicht, das hinsichtlich der Frage, was genau da hinter dem ausladenden Schreibtisch aus schwarzem Onyx kauerte, nur vage Vermutungen zuließ.
    Meister Lurentz seufzte leise, packte den Türknauf und drehte ihn. Geräuschlos schnappte der Riegel des gut geölten Schlosses zurück. Die Tür schwang auf und gab den Blick frei auf die kaum drei Ellen tiefe Schleuse, deren gegenüberliegendes Ende von einer zweiten, identischen Tür gebildet wurde.
    Das Problem ist weniger, was man von ihm sieht, kam es Meister Lurentz erneut in den Sinn, als er in die Schleuse trat und die Tür hinter sich ins Schloss zog. Das Problem ist vielmehr, was man nicht sieht …
    Genau hier nämlich lag der Hase im Pfeffer: Hätte der Geheimrat eine feste Gestalt gehabt, sei sie noch so grässlich anzuschauen gewesen, dann hätte Lurentz gewusst, woran er war. Damit hätte er umgehen können.
    Stattdessen ließen sich bei jedem Besuch neue, fremdartige

Aspekte des Geheimrats ausmachen: hier eine graue, unnatürlich feingliedrige Hand, die aus den Schatten nach einem Dokument griff; dort ein grünlicher, schlangengleicher Tentakel, der sich mit einem Füllhalter in die Dunkelheit zurückzog; die Andeutung einer wuselnden, unmenschlichen Bewegung in der Schwärze, gefolgt von der glitzernden Reflexion eines schwachen Lichtscheins auf unzähligen, viel zu großen Zähnen …
    Meister Lurentz straffte die Schultern, wie er sie so viele Male zuvor an dieser Stelle gestrafft hatte.
    Eine Sache durfte man bei aller subjektiven Abneigung gegen Geheimrat K. nie vergessen: Seine Funktion als Oberster Lenker des Instituts versah er seit fast neunzig Jahren ohne Fehl und Tadel. Den Statistiken zufolge war die Zahl der thaumaturgischen Verbrechen in Nophelet sowie im Umland seit seinem Amtsantritt um gut ein Drittel zurückgegangen, und nur ein einziger Beamter hatte während dieser langen Zeit seinen Dienst wegen Unstimmigkeiten mit dem Institutsleiter quittiert.
    Es war eine Ehre, diesen Mann – oder was immer er auch war – bei der Bekämpfung von Unrecht und Kriminalität zu unterstützen!
    Forsch drehte Meister Lurentz den zweiten Knauf, drückte die Tür auf und trat ein in das feuchte Zwielicht.

3
     
     
     
    »Ich benötige aber getrocknete Kareninaken-Blätter. Dringend! Sie dienen als Katalysator beim Prozess der Signatursicherung.« Der Junge vor der Ladentheke machte ein entrüstetes Gesicht. »Wollen Sie mir etwa erzählen, Sie hätten keine mehr am Lager?«
    »Ich hab’s dir schon einmal gesagt, und ich sage es dir wieder, Kleiner: Diese Blätter sind nicht frei verkäuflich, da sie für thaumaturgische Zwecke verwendet werden können.« Umständlich zupfte der fette Mann hinter dem Tresen sein sandbraunes Wickelgewand zurecht.
    »Hören Sie mir eigentlich zu? Genau davon rede ich doch!«, stieß der Knabe mit mühsam unterdrückter Wut hervor. »Darüber hinaus brauche ich Ozgol-Kristalle, sandfeine Körnung, eine Vorratsphiole Vooril-Tinktur für Affinitätsprüfungen, weiterhin …«
    Der Verkäufer wandte ihm mit gleichgültiger Miene den Rücken zu und begann, mit einem langen Staubwedel die Auslagen auf dem Regal hinter sich abzustauben. »Ich darf diese Artikel nicht an Knilche wie dich verkaufen, fertig, aus! Warum gehst du nicht nach draußen und spielst Faustball oder was Kinder in deinem Alter sonst machen?« Mit übertriebener Sorgfalt nahm er ein Einweckglas mit einem eingelegten Basiliskenembryo in seine dicken Finger und pinselte von allen Seiten unsichtbare Staubkörnchen
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