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Der Elbenschlaechter

Der Elbenschlaechter

Titel: Der Elbenschlaechter
Autoren: Jens Lossau , Jens Schumacher
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drehte Jorge der Erwischer sich um und verließ das Wirtshaus Zum Entbeinten.

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    Das Problem an den Zusammenkünften mit Geheimrat K. war weniger, was man dabei sah, als vielmehr das, was man nicht sah.
    Während Meister Lurentz, thaumaturgischer Heiler der sechsten Stufe, der schmalen, fackelerleuchteten Wendeltreppe Windung um Windung tiefer unter die Erde folgte, versuchte er, in Gedanken zu überschlagen, wie oft er den Obersten Lenker des IAIT bereits in dem dämmrigen Gewölbe zahllose Stockwerke unterhalb des Institutsgebäudes aufgesucht hatte. Er kam zu dem Schluss, dass er diesen Weg in den letzten acht Jahren viele Dutzend Male zurückgelegt haben musste. So lange versah er jetzt schon ehrenamtlich seinen Dienst als medizinischer Gutachter und Berater des Instituts, eine Aufgabe, um die er sich seinerzeit mit viel Enthusiasmus beworben hatte.
    Zu Recht, wie er noch heute fand. Die ehrenamtliche Mitarbeit in der höchsten Ermittlungsbehörde Sdooms verschaffte ihm zwar keine monetäre Vergütung, aber zahllose Vorteile im täglichen Leben. Es war fast so, als sei man Mitglied einer geheimen, dafür umso einflussreicheren Bruderschaft; seit seine Vermieterin wusste, dass er dem IAIT diente, tolerierte sie es widerspruchslos, wenn er sich mit dem Mietzins um Wochen, gar Monate verspätete. Händler auf dem Markt reservierten frisches Obst oder knackiges Gemüse für ihn. Und die jungen Damen, die in der heilkundlich-thaumaturgischen Klinik, welche er mit Meister Zzwirr und Meister Almudendus nahe dem Stadtzentrum unterhielt, seine Patienten betreuten, blickten ihm auf dem Flur voller Respekt, ja beinahe ehrfürchtig hinterher.

Der zweite Grund, warum die Arbeit für das IAIT über acht lange Jahre für ihn nichts von ihrem Reiz verloren hatte, war Meister Lurentz’ Überzeugung, dass er durch seine Tätigkeit im Dienste der Verbrechensbekämpfung das Leben in Nophelet ein kleines bisschen sicherer und lebenswerter machen könne. Dem rationalen Teil seines Verstandes war bewusst, dass dieser Gedanke hoffnungslos idealistisch und naiv war, aber Lurentz war einer jener Menschen, deren Dasein ausschließlich darauf abzielt, anderen zu helfen. Deswegen hatte er die langwierige Ausbildung zum thaumaturgischen Heiler auf sich genommen und bis zur sechsten Stufe vorangetrieben. Und deswegen hatte er sich beim IAIT gemeldet, als bekannt wurde, dass dort ein medizinischer Berater gesucht werde.
    Wenn nur die sporadischen Unterredungen mit Geheimrat K. nicht wären …
    Meister Lurentz umrundete zwei weitere Treppenwindungen und blieb kurz stehen, um sich mit dem Ärmel seiner Tunika den Schweiß von der Stirn zu wischen.
    Er war ein kleiner Mann von rundlicher Statur, dem ein ererbtes Ungleichgewicht im Salzhaushalt seines Körpers bereits in jungen Jahren nahezu das gesamte Haupthaar geraubt hatte. Auch um sein Augenlicht stand es nicht zum Besten. Um seine thaumaturgische Ausbildung durchlaufen zu können, hatte er auf Augengläser mit immer dickeren gewölbten Linsen zurückgreifen müssen, was ihm unter Kommilitonen den Spitznamen »Glotzfisch« eingetragen hatte. Meister Lurentz hatte es hingenommen, ohne zu murren, wie er vieles in seinem Leben hingenommen hatte, ohne zu murren.
    Jetzt jedoch murrte Meister Lurentz – leise wohl und in den Ärmel seiner Tunika hinein, aber er murrte. Ihm war unwohl zumute. Der Gedanke an Geheimrat K., der just in dieser Sekunde tief drunten im Zwielicht hockte und auf seinen Autopsiebefund wartete, jagte ihm eine Gänsehaut über den Rücken. Widerstrebend setzte er sich von Neuem in Bewegung.
    Es war nicht der Umstand, dass der Leiter des Instituts einsam und abgeschieden etliche Stockwerke tiefer als seine Untergebenen residierte, mit der Außenwelt allein durch ein Schallrohr und eine druckluftbetriebene Rohrpost verbunden. Auch dass es sich bei seinem »Büro« keineswegs um ein helles, ordentliches Zimmer mit Bücherborden und Schreibpult handelte, wie es die Ermittlungsbeamten, Sekretäre oder Archivare in den höheren Stockwerken ihr Eigen nannten, war Meister Lurentz gleichgültig. Wenn es nach ihm ging, konnte der Geheimrat bis ans Ende der Zeit in seinem Loch unter den ewig vor sich hin tropfenden Stalaktiten hocken, wenn es ihm Vergnügen bereitete.
    Nicht einmal die merkwürdigen Geschichten, die man sich über jenen abgelegenen Ort erzählte, vermochten den Heiler zu beunruhigen. Was scherte es ihn, ob die verdammte Höhle bereits existiert hatte,
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