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Der Dunkle Turm 7 - Der Turm

Titel: Der Dunkle Turm 7 - Der Turm
Autoren: King Stephen
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Balkon mitgenommen?
    Weil das seine einzigen Gunna waren, die er zudem auf der Schulter getragen hat, flüsterte eines der in die Rundung der Wand gehauenen Gesichter. Es war Mordreds Gesicht. In seinen Augen sah Roland jetzt keinen Hass mehr, sondern nur die einsame Traurigkeit eines verlassenen Kindes. Dieses Gesicht war so einsam wie der Pfiff einer Lokomotive in einer mondlosen Nacht. Für Mordreds Nabel hatte es keine Zedernholzklammer gegeben, als er zur Welt gekommen war, nur die Mutter, die ihm als erstes Mahl gedient hatte. Keine Klammer, nie im Leben, weil Mordred nämlich niemals dem Tet von Gan angehört hatte. Nein, nicht er.
    Mein Roter Vater wäre niemals unbewaffnet gegangen, flüsterte der steinerne Junge. Vor allem nicht außerhalb seines Schlosses. Er war verrückt, aber so verrückt auch wieder nicht.
    In diesem Raum roch es nach dem Talkumpuder, den seine Mutter immer verwendete, wenn er frisch gebadet nackt auf einem Handtuch lag und mit seinen neu entdeckten Zehen spielte. Sie hatte seine Haut damit eingepudert und leise gesungen, während sie ihn liebkost hatte: Kleiner Spatz, mach’s mir nicht schwer, bring dein kleines Körbchen her! Auch dieser Geruch verschwand so schnell wieder, wie er gekommen war.
    Roland trat an das kleine Fenster, stakste zwischen den Windelfetzen hindurch und sah dann hinaus. Die körperlosen Augen spürten seine Gegenwart und machten schwindelerregend schnell kehrt, um ihn anzustarren. Ihr Blick war von Zorn und Verlust vergiftet.
    Komm heraus, Roland! Komm raus und tritt mir allein entgegen! Mann gegen Mann! Auge um Auge, wenn’s beliebt!
    »Lieber nicht«, sagte Roland, »ich habe nämlich noch weitere Arbeit zu erledigen. Noch ein wenig, selbst jetzt noch.«
    Das war sein letztes Wort an den Scharlachroten König. Obwohl der Wahnsinnige ihm Gedanken nachschrie, kreischte er sie vergebens, weil Roland sich kein einziges Mal umsah. Auf seinem Weg zum Obergeschoss des Turms hatte er weitere Treppen zu ersteigen und weitere Räume zu erforschen.
     
     
    5
     
    Auf dem dritten Treppenabsatz blickte er durch die Tür und sah einen Cordsamtanzug, den zweifellos er getragen hatte, als er erst ein Jahr alt gewesen war. Unter den Gesichtern an der Wand sah er das seines Vaters, aber als viel jüngerer Mann. Später war dieses Gesicht grausam geworden – Ereignisse und Verpflichtungen hatten es so verändert. Aber hier war das noch nicht der Fall. Hier waren Steven Deschains Augen die eines Mannes, der etwas betrachtete, was ihn mehr erfreute, als irgendetwas das jemals getan hat – oder jemals tun könnte. Hier roch Roland für einen Augenblick einen süßlichen, schweren Duft, den er als die Rasierseife seines Vaters erkannte. Zugleich flüsterte eine Phantomstimme: Sieh nur, Gabby, sieh doch! Er lächelt! Lächelt mich an! Und er hat einen neuen Zahn!
    Auf dem Fußboden des vierten Raums lag das Halsband seines ersten Hundes Ring-A-Levio, kurz Ringo geheißen. Er war eingegangen, als Roland drei war, was in gewisser Beziehung ein Geschenk des Himmels gewesen war. Ein Junge von drei Jahren durfte noch um ein Schoßtier weinen – sogar ein Junge, in dessen Adern das Blut des Eld floss. Hier nahm der Revolvermann einen Duft wahr, der wundervoll, aber namenlos war, und erkannte ihn als den Geruch von Ringos Fell im warmen Schein der Volle-Erde-Sonne.
    Ungefähr zwei Dutzend Stockwerke über Ringos Raum lagen auf dem Fußboden Brotkrumen und ein schlaffes Bündel Federn verstreut, die einst ein Falke namens David gewesen waren – ganz bestimmt kein Schoßtier, aber doch ein Freund. Das erste von Rolands vielen Opfern auf der Suche nach dem Dunklen Turm. Auf einem Wandabschnitt sah Roland ihn im Flug dargestellt, wie er mit ausgebreiteten Stummelflügeln über dem versammelten Hof von Gilead (Marten der Zauberer an prominenter Stelle unter den Höflingen) dahinsegelte. Und links neben der auf den Balkon hinausführenden Tür war David nochmals eingemeißelt. Hier waren seine Schwingen angelegt, während er sich wie eine Kugel blindlings auf Cort stürzte, ohne auf dessen erhobenen Stock zu achten.
    Alte Zeiten.
    Alte Zeiten und alte Untaten.
    Nicht weit von Cort entfernt war das lachende Gesicht der Hure zu sehen, mit der der Junge sich an jenem Abend vergnügt hatte. Der Geruch in Davids Raum war ihr Parfüm: billig und süßlich. Als der Revolvermann ihn einatmete, erinnerte er sich daran, wie er das Schamhaar der Hure berührt hatte, und war schockiert, sich jetzt
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