Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Dunkle Turm 7 - Der Turm

Titel: Der Dunkle Turm 7 - Der Turm
Autoren: King Stephen
Vom Netzwerk:
sein; der Alte Stern und die Alte Mutter mochten auf den Dunklen Turm herabscheinen, aber Roland war sich ziemlich sicher, dass er Sonnenschein sah – oder spürte.
    Er stieg weiter, ohne einen Blick in weitere Räume zu werfen, ohne sich die Mühe zu machen, ihre Düfte aus der Vergangenheit zu riechen. Das Treppenhaus wurde enger, bis er mit den Schultern fast dessen gekrümmte Steinflanken berührte. Kein Lied mehr, außer der Wind galt als Lied, nur jenen hörte er nämlich seufzen.
    Er kam an einer letzten offenen Tür vorbei. Auf dem Fußboden der winzigen Kammer dahinter lag ein Zeichenblock, von dem ein Gesicht wegradiert worden war. Auf dem Papier waren nur zwei rote Augen zurückgeblieben, die ihn anfunkelten.
    Ich habe die Gegenwart erreicht. Ich habe das Jetzt erreicht.
    Ja, und hier gab es Sonnenlicht, Commala-Sonnenlicht, das in seinen Augen auf ihn wartete. Es brannte heiß und scharf auf seine Haut herab. Auch die Windgeräusche waren lauter, wirkten ebenfalls rau. Unversöhnlich. Roland sah zur Fortsetzung der Wendeltreppe auf; dort würden seine Schultern die Mauern berühren, weil die Passage nicht breiter als ein Sarg war. Noch neunzehn Stufen, dann war der Raum im Obergeschoss des Dunklen Turms sein.
    »Ich komme!«, rief er. »Wenn ihr mich hört, so hört mich wohl an! Ich komme!«
    Er nahm die Stufen eine nach der anderen, stieg sie mit durchgedrücktem Rücken und hoch erhobenem Kopf hinauf. Die anderen Räume hatten offen vor seinem Blick gelegen. Der letzte Raum war mit einer Tür aus Geisterholz verschlossen, in die ein einzelnes Wort eingeschnitzt war. Dieses Wort lautete:
     
    ROLAND
     
    Er packte den Türknopf. In das Metall war eine Wildrose eingraviert, die sich um einen Revolver wand, einen der großen Sechsschüsser, die er von seinem Vater geerbt und nun auf ewig verloren hatte.
    Trotzdem werden sie wieder dir gehören, flüsterten die Stimme des Turms und die Stimme der Rosen, die jetzt eins waren.
    Wie meint ihr das?
    Darauf bekam er keine Antwort, aber der Knopf unter seiner Hand drehte sich, und vielleicht war das eine Antwort. Roland öffnete die Tür zu dem Raum im Obergeschoss des Dunklen Turms.
    Er sah und begriff sofort, was er sah; dieses Wissen traf ihn wie ein Hammerschlag, heiß wie die Sonne jener Wüste, die die Mutter aller Wüsten war. Wie viele Male war er schon diese Stufen hinaufgestiegen, nur um zurückgewiesen, zurückgedrängt, zurückgeworfen zu werden? Nicht zurück zum Anfang (als manches sich vielleicht noch hätte ändern lassen, um den Fluch der Zeit aufzuheben), sondern zu jenem Augenblick in der Mohainewüste, als er endlich begriffen hatte, dass seine gedankenlose, unreflektierte Suche letzten Endes erfolgreich sein würde? Wie viele Male hatte er eine Schleife zurückgelegt wie die an der Klammer, die einst seine Nabelschnur, seine Tet-ka can Gan, abgeklemmt hatte? Wie viele Male würde er sie noch zurücklegen müssen?
    »O nein!«, schrie er entsetzt. »Bitte nicht wieder! Habt Erbarmen! Gnade!«
    Trotzdem zogen die Hände ihn weiter. Die Hände des Turms kannten kein Erbarmen.
    Sie waren die Hände von Gan, die Hände des Ka, und sie kannten kein Erbarmen.
    Er roch Alkali, bitter wie Tränen. Die Wüste jenseits der Tür war weiß; blendend hell; wasserlos; ohne Geländeformationen bis auf eine undeutliche, verschwommene Bergkette am Horizont. Der Duft, den der Alkaligeruch überlagerte, war der von Teufelsgras, das süße Träume, Albträume, Tod brachte.
    Aber nicht für dich, Revolvermann. Niemals für dich. Du verdunkelst dich. Du verfärbst dich. Darf ich brutal offen sein? Du machst weiter.
    Und jedes Mal vergisst du das letzte Mal. Für dich ist jedes Mal das erste Mal.
    Er machte einen letzen Versuch zurückzuweichen: aussichtslos. Das Ka war stärker.
    Roland von Gilead trat durch diese letzte Tür, durch jene, die er stets suchte, durch jene, die er stets fand. Sie schloss sich lautlos hinter ihm.
     
     
    8
     
    Der Revolvermann blieb für einen Moment leicht schwankend stehen. Er merkte, dass er eben fast das Bewusstsein verloren hätte. Das kam natürlich von der Hitze, der verdammten Hitze. Es gab auch Wind, aber der war trocken und brachte keine Erleichterung. Er nahm seinen Wasserschlauch, schätzte den restlichen Inhalt nach Gewicht ab, wusste genau, dass er nichts trinken sollte – dies war nicht die rechte Zeit dafür –, und nahm trotzdem einen Schluck.
    Einen Augenblick lang hatte er das Gefühl gehabt, anderswo zu sein.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher