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Der Duft des Sommers

Der Duft des Sommers

Titel: Der Duft des Sommers
Autoren: Joyce Maynard
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Fellknäuel verzichten, sagte ich.
    Ich habe ihn von meinem Vater geschenkt bekommen, erwiderte sie. Er kümmert sich um Jim, während ich auf dieser Schule bin.
    Also hast du deine schicke Kunstakademie doch gekriegt, sagte ich. Ich hielt den Hund immer noch umklammert, und plötzlich wurde mir bewusst, wo sein Name herkam.
    Vielleicht wollte er sich den Rest geben wie sein Namensvetter, sagte ich. Wenn grade kein Heroin zur Hand ist, geht’s vielleicht auch mit einem Laster.
    Du bist widerlich, entgegnete sie. Kein Wunder, dass du keine Freunde hast.
    Das ist dir wahrscheinlich einerlei, sagte ich. Aber der Mann, den die Polizei damals abgeführt hat, war vermutlich der beste Mensch, den ich jemals gekannt habe.

    Ich hatte das nur wegen des dramatischen Effekts gesagt, doch dann wurde mir bewusst, dass es stimmte. Und als ich mich selbst diese Worte aussprechen hörte, tat ich etwas, das mir zutiefst zuwider war. Ich fing an zu weinen.
    Jetzt hätte sie wieder mit ihrer Lieblingsbemerkung über mich herfallen können: dass ich eine Vollniete sei. Und es gab auch keinen Zweifel mehr daran, dass sie ihren Hund zurückkriegen würde. Ich wirkte nicht mehr allzu einschüchternd.
    Aber sie rührte sich nicht. Sie stand nur da auf ihren hohen Absätzen, hielt diesen albernen Hut und die riesige Handtasche fest, die aussah, als stamme sie aus irgendeiner Verkleidungskiste. Kann sein, dass sie noch dünner als damals war, aber der Mantel kaschierte das. Unter ihren Augen lagen dunkle Ringe, und ihr Mund wirkte verkniffen. Ich dachte nicht mehr, dass sie Sex mit jemandem haben würde. Sie sah aus, als würde sie zerbrechen, sobald man sie berührte.
    Das wusste ich nicht, sagte sie. Ich wollte einfach, dass was passiert.
    Sie weinte jetzt auch.
    Ja, das ist dir gelungen, erwiderte ich und reichte ihr den Hund. Obwohl ich ihn nur kurz im Arm gehalten hatte, begann er mir die Hand abzulecken. Ich hatte das Gefühl, dass er lieber bei mir geblieben wäre. Sogar ein Hund konnte spüren – vielleicht sogar besser als Menschen –, dass Eleanor jemand war, den man lieber meiden sollte.

    E in paar Jahre später sah ich sie noch einmal, auf einer Party von einem Typen, der in der Schultheatergruppe war. Eleanor trug so ein Silbermedaillon um den Hals, das mit Kokain gefüllt war, schüttete etwas von dem weißen Pulver auf einen Spiegel und schnupfte es. Ein paar andere machten mit, aber ich nicht. Eleanor war immer noch dünn, wenn auch nicht so extrem wie früher, und ihre Augen waren so riesig wie eh und je. Sie tat, als würde sie mich nicht kennen, dabei wusste ich, dass sie sich an mich erinnerte. Doch ich hatte ihr sowieso nichts mehr zu sagen. Ich hatte ihr schon viel zu viel gesagt.

    Im vorletzten Schuljahr schlief ich dann zum ersten Mal mit einem Mädchen. Ich hätte es vermutlich auch schon früher tun können. Gelegenheiten gab es, wie mit Eleanor, aber ich hatte diese für die damalige Zeit etwas altmodische Vorstellung, dass ich in ein Mädchen verliebt sein sollte. Und ich wollte auch, dass das Mädchen in mich verliebt war. Das war bei Becky der Fall. Wir waren den Rest unserer Schulzeit und das erste halbe Semester unseres Studiums zusammen. Dann lernte sie einen Typen kennen, nach dem sie völlig verrückt war, und heiratete ihn. Eine Zeitlang dachte ich, dass ich niemals über diese Sache hinwegkommen würde, aber dann gelang es mir natürlich doch. Man hält vieles für möglich oder für unmöglich, wenn man neunzehn Jahre alt ist.

    Meine Mutter verkaufte weiterhin dann und wann MegaMite übers Telefon, und sie war felsenfest davon überzeugt,
dass ich nur wegen der regelmäßigen Einnahme dieser Vitamine eins sechsundachtzig groß geworden war, da meine Eltern beide kleiner waren.
    Du bist der größte Mensch, den ich kenne, sagte meine Mutter einmal zu mir.
    Obwohl, nein, das stimmt nicht, fügte sie dann hinzu. Wir wussten beide, an wen sie dachte, aber wir sprachen seinen Namen nicht aus.

    Nachdem ich zuhause ausgezogen war, legte sich meine Mutter das zu, was Marjorie »einen richtigen Job« genannt hätte. Bei diesem Job verdiente meine Mutter zwar auch nicht mehr als mit dem Vitaminverkauf, aber sie musste dafür endlich aus dem Haus gehen. Vielleicht hatte sie gemerkt, dass sie etwas ändern musste, als ich nicht mehr da war.
    Sie ging ins Altenheim in unserer Stadt und bot dort Tanzkurse an. Foxtrott, Walzer, Two Step, Swing – all die alten Paartänze, wobei etliche Frauen aufgrund des
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