Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Duft des Sommers

Der Duft des Sommers

Titel: Der Duft des Sommers
Autoren: Joyce Maynard
Vom Netzwerk:
schlief ich die meiste Zeit.

    Den größten Teil dieses Schuljahrs wohnte ich bei meinem Vater. Was zumindest den Vorteil hatte, dass man auf dieses unangenehme allwöchentliche Abendessen bei Friendly’s verzichten konnte. Die Mahlzeiten zuhause waren leichter zu ertragen. Nicht zuletzt, weil währenddessen der Fernseher lief.
    Man hätte jetzt angenommen, dass meine Mutter sich darum
bemühen würde, mich besuchen zu dürfen, aber eine Weile tat sie genau das Gegenteil. Sie schien mich auch nicht bei sich haben zu wollen, und wenn ich mit meinem neuen Rad bei ihr vorbeifuhr und ihr Lebensmittel und Bücher aus der Bibliothek brachte, wirkte sie abwesend und zerstreut.
    Sie müsse Anrufe machen, sagte sie. Vitaminkunden. Und es gäbe noch so vieles zu erledigen. Sie sagte allerdings nicht, was sie in einem Haus zu erledigen hatte, in dem es keine Möbel zum Abstauben und keine Teppiche zum Staubsaugen gab und in dem niemand zu Besuch kam und niemand kochte.
    Sie lese viel, sagte sie, und das stimmte tatsächlich. Überall türmten sich Stapel von Büchern, so wie früher die Campbell-Suppen. Bücher über eigenartige Themen: Forstwirtschaft und Viehhaltung, Hühnerzucht, Wildblumen, Hochbeete – aber unser Garten blieb unverändert. Ihr Lieblingsbuch, das jedes Mal auf dem Küchentisch lag, wenn ich vorbeikam, war ein Buch aus den Fünfzigern von einem Ehepaar, Helen und Scott Nearing. Es hieß Ein gutes Leben leben, und die beiden beschrieben darin, wie sie ihre Arbeit und ihr Haus in Connecticut aufgegeben hatten und nach Maine gezogen waren, wo sie ohne Strom und Telefon als Selbstversorger auf dem Land lebten. Auf den Fotos im Buch trug Scott Nearing, der schon Anfang fünfzig sein musste, einen Overall oder abgewetzte Blue Jeans und harkte zusammen mit seiner Frau, die immer ein kariertes Hemd anhatte, die Beete.
    Meine Mutter las so häufig in diesem Buch, dass sie es
vermutlich auswendig kannte. Diese beiden hatten nur sich, sagte sie. Und das genügte ihnen vollkommen.

    Vielleicht spielte auch Schuld eine Rolle bei meiner Entscheidung – das Gefühl, dass meine Mutter mich brauchte, im Gegensatz zu meinem Vater –, aber vermutlich war eher ich es, der meine Mutter brauchte. Mir fehlten die Gespräche beim Abendessen, bei denen meine Mutter – ganz anders als Marjorie, die jeden unter einundzwanzig in diesem ganz speziellen Tonfall ansprach – mit mir geredet hatte wie mit einem Erwachsenen. Obwohl sie natürlich – abgesehen von irgendwelchen Hausierern, ihren MegaMite-Kunden und dem Heizöllieferanten – kaum mit anderen Erwachsenen zu tun hatte.
    Als ich meinem Vater im nächsten Frühjahr sagte, dass ich wieder bei meiner Mutter leben wollte, widersetzte er sich nicht, und am nächsten Tag zog ich bei ihr ein.
    Ich nahm an den Baseball-Probespielen teil, und sie machten mich zum Right Fielder. Als wir einmal gegen Richards Mannschaft spielten, fing ich einen langen Fly Ball, den jeder für einen Triple-Hit gehalten hatte. Und jedes Mal, wenn ich mit Schlagen dran war, zog ich dieses Ritual durch. Den Ball sehen, sagte ich, so leise, dass nicht mal der Catcher mich hören konnte. Und ich traf ziemlich oft.
    Während meiner ganzen Highschool-Zeit lebten meine Mutter und ich nur mit wenigen Habseligkeiten. Ein paar Möbel standen noch da von jenem Tag, an dem wir weggehen wollten, aber bis auf die Sachen in den Kisten im Auto,
mit denen wir im Norden ein neues Leben beginnen wollten, hatten wir fast alles weggegeben. Und auch aus diesen Kisten nahmen wir außer der Kaffeemaschine und ein bisschen Kleidung nur das Nötigste heraus. Die Tanzkleider meiner Mutter, ihre eleganten Schuhe und Tücher, ihre Fächer, die Bilder, die früher an den Wänden hingen, ihr Cello und sogar ihr Kassettenrecorder blieben unausgepackt. Als ich selbst ein bisschen Geld verdiente, kaufte ich mir einen Walkman, damit ich Musik hören konnte.
    Die Stimmen von Frank Sinatra, Joni Mitchell und (inzwischen kannte ich den Namen des Sängers) Leonard Cohen waren nie wieder zu hören in unserem Haus. Auch Guys and Dolls nicht. Überhaupt keine Musik. Musik und Tanz gab es nicht mehr bei uns.
    Irgendwann fuhren wir mal zum Second-Hand-Markt, wo meine Mutter Teller, Tassen und Besteck kaufte, aber man braucht ja nicht viel für zwei Leute, die nur Fertiggerichte und Suppen essen. In der zehnten Klasse meldete ich mich zu einem Hauswirtschaftskurs an – damals fing man gerade an, auch Jungen in diesen Fächern zu unterrichten.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher