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Der Duft des Apfelgartens

Der Duft des Apfelgartens

Titel: Der Duft des Apfelgartens
Autoren: Marcia Willett
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freundlichen Empfangs, den man ihr bereitete, und dieses seltsamen Gefühls, hierher zu gehören, entschied sie sich doch, lieber in dem Wohnwagen im Obstgarten zu leben als in dem bequemen Einzimmer-Apartment im Haus, das die Schwestern ihr anboten. Der Wohnwagen ist abgesondert und bietet Privatsphäre und Unabhängigkeit.
    »Er erinnert mich an meine Kindheit«, erklärte sie den freundlichen Schwestern, die darauf brannten, sie willkommen zu heißen und ihre Bedenken zu zerstreuen, »als wir auf der Straße gelebt haben.«
    Falls die guten Frauen erstaunt waren, ließen sie sich nichts davon anmerken. Warmherzig und höflich überließen sie Janna den Wohnwagen, wo sie ihre Freiheit haben würde, und umrissen ihre Pflichten, die einfach waren: das Haus sauber halten, waschen und bügeln und, wenn nötig, auf Schwester Nicola achtgeben, die mit ihren zweiundneunzig Jahren immer vergesslicher wird.
    »Früher waren wir vollkommen autark«, sagte Mutter Magda betrübt zu Janna. »Nach innen und außen. Aber damals waren wir zahlreicher, und wir waren jung. Außerdem lebte immer ein Ehepaar im Pförtnerhäuschen, das uns half. Doch der Mann ist gestorben, und seine Frau ist dann zu ihrer Tochter gezogen. Jetzt haben wir Clem, der ein echter Segen ist.«
    »Und Jakey«, setzte Schwester Emily hinzu und zwinkerte.
    »Also, ich weiß nicht«, gab Schwester Ruth ziemlich kühl zurück, »ob Jakey uns wirklich eine große Hilfe ist.«
    »Durch ihn fühlen wir uns wieder jung«, erklärte Mutter Magda bestimmt. »Und er versteht, was Ehrfurcht bedeutet.«
    Jetzt geht Janna unter den Apfelbäumen hindurch und überquert den Hof. Die hübschen Zwerghühner mit ihrem Gefieder voll weicher Grau- und warmer Goldtöne stieben vor ihr auseinander und rennen davon. Das Kutschenhaus ist leer; keine Gäste diese Woche. Janna ist froh darüber. Es ist schön, unter sich zu sein. Sie hat es gern, wenn alles in der Familie bleibt, der Familie, nach der sie sich immer gesehnt hat: Mutter Magda, Vater Pascal, die Schwestern Emily, Ruth und Nicola und Clem, Jakey und Dossie. Wie eigenartig, dass sie sie gerade hier gefunden hat, unerwartet, in diesem winzigen, hochgelegenen Tal, das steil zum Meer hin abfällt! Durch die Hintertür tritt sie ein und geht in die Küche.
    In der Kapelle sind die Nonnen beim Morgengebet. Schwester Nicola sitzt da und sieht starr auf das Doppelbogen-Fenster und die kahlen, reifbedeckten Zweige des Fliederbusches dahinter. Ihre Gedanken sind nicht immer klar, und sie stellt sich vor, dass sie, wenn sie einatmet, den berauschenden Duft des blühenden Flieders riechen kann, der durch das offene Fenster hineinweht, und das Zwitschern der Amsel hört, die in seinem Blattwerk sitzt. Doch heute Morgen ist das Fenster geschlossen, um die Winterkälte abzuhalten, und bis zum Frühling dauert es noch einige Zeit. Neben ihr steht Schwester Ruth auf, um an das Pult zu treten. Schwester Nicola sieht der hochgewachsenen, schmalen Gestalt nach und versucht, sich an ihren Namen zu erinnern. Sie schaut sich in der Kapelle um, sieht die Gesichter lange Verstorbener und ruhige, aufmerksame Gestalten, die in den leeren Bänken sitzen, und sie beobachtet Mutter Magdas schmales, fein gezeichnetes Gesicht und ihre gelassenen blauen Augen und Schwester Emilys intelligenten, direkten Blick und ihren verhalten lächelnden Mund. Die beiden sehen Schwester Ruth an – ja, das ist ihr Name, und Schwester Nicola nickt erfreut, als er ihr einfällt –, die jetzt die Bibel aufschlägt und zu lesen beginnt.
    »›Mache dich auf, werde licht; denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des Herrn geht auf über dir!‹«
    Jesaja. Epiphanias. Die Vertrautheit des Kirchenjahrs, das sich in seinem endlosen Reigen dreht, tröstet Schwester Nicola. Es bleibt, während ihr so vieles andere entgleitet. Ihr Kopf sinkt ein wenig nach vorn, aber sie schläft nicht.
    Clem trifft vor Janna in der Küche ein und kippt Gemüse aus einem Korb auf eine Zeitung, die auf dem großen, sauber gescheuerten Tisch ausgebreitet ist. Auf dem Herd köchelt Brühe in einem Topf, doch von Penny, die aus dem Dorf heraufkommt, um zu kochen, ist keine Spur zu sehen. Janna und Clem lächeln einander zu. Während der paar Monate, die Janna jetzt im Kloster lebt, hat sie gelernt, sich behutsam zu bewegen und sehr leise zu sprechen. Die Nonnen legen großen Wert auf Stille, obwohl es hier, in der Küche, gestattet ist, sich leise zu unterhalten. Clem ist von Natur aus
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