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Der Duft des Apfelgartens

Der Duft des Apfelgartens

Titel: Der Duft des Apfelgartens
Autoren: Marcia Willett
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das Jesuskind in den Schuhbeutel, wirft einen letzten Blick auf alle Figuren und zieht dann mit einiger Mühe die Schnur zu.
    »Gut gemacht«, sagt Dossie. »Den Stall legen wir getrennt in die Schublade. Könntest du jetzt Tante Gabriel verpacken?«
    Sie nimmt die große, sperrige Figur vom Bücherregal und lehnt sie neben den weichen Einwickeltüchern an die Sofakissen. Jakey betrachtet den Engel bedauernd: Sein Lächeln und das tröstliche Gefühl, dass er über ihn wacht, werden ihm fehlen. Eine Erinnerung an einen Traum, den er schon mehrmals gehabt hat, flackert in ihm auf: die reglose, schweigende Gestalt, die, in blasse Tücher gehüllt, auf der anderen Seite der Einfahrt zwischen den Bäumen steht und zum Haus sieht. Jakey weiß jetzt nicht mehr, ob er wirklich aus dem Bett gestiegen ist und die Gestalt von seinem Fenster aus gesehen hat oder ob alles bloß ein Traum war. Mit den Fingern streicht er über den schweren Sockel, der Tante Gabriels Füße bildet, und die weichen gepolsterten Flügel und berührt das Herz aus rotem Satin, das sie in ihren dicklichen Fingern hält.
    »Vergiss nicht, ihr die Krone abzunehmen«, sagt Dossie, »und sie getrennt zu verpacken. Arme alte Tante Gabriel! Also, sie muss wirklich ausruhen. Dann kann sie nächste Weihnachten ausgeschlafen wieder herauskommen.«
    Ehrfürchtig nimmt Jakey die Krone aus Golddraht von dem dicken Bindfadenhaar und beugt sich so weit vor, dass sein Mund sich dem mit Seide gestickten Lächeln nähert.
    »Bisss nächssstes Weihnachten«, flüstert er. »Ruh dich sssön aus!«
    Er legt sie auf das weiche Stück Stoff und hüllt sie darin ein wie in ein Umschlagtuch. Er möchte es nicht über ihr Gesicht ziehen, weil sie sonst keine Luft kriegt. Sehr vorsichtig legt er sie in die große Einkaufstüte, dann schlägt er die Krone in Seidenpapier ein und schiebt sie ebenfalls hinein. Plötzlich überkommt ihn wieder die Traurigkeit: Er kann es nicht ertragen, dass Tante Gabriel in einer Tüte steckt wie irgendwelche normalen, langweiligen Einkäufe. Doch bevor er etwas sagen kann, spricht Dossie ihn an.
    »Kannst du mir helfen, Schatz?«, fragt sie. »Ich bin so dumm gewesen. Ich habe diese Figuren abgenommen, und jetzt finde ich die Schachtel nicht, in die sie gehören. Ist sie da auf dem Sofa? Oh, ja. Das ist die richtige. Komm und schau dir diese hübschen Figürchen an, Jakey! Dein Daddy hat sie geliebt, als er so alt war wie du.«
    Und er sieht sich die kleinen geschnitzten Holzfiguren an – einen Trommler, einen Schneemann und einen Jungen mit einer Laterne – und hilft Dossie, sie in die grüne Schachtel zu legen; sie zeigt ihm die empfindlichen Christbaumfiguren aus Glas – eine Eule, eine Uhr und eine Glocke –, und seine Traurigkeit verfliegt.
    In dieser Nacht träumt er wieder von der Gestalt, die, in helle Gewänder gehüllt, zwischen den Bäumen steht und das Haus beobachtet. Aber er hat keine Angst: Jetzt weiß er, dass es Tante Gabriel ist.
    Die Auffahrt führt an dem Haus mit seinen Doppelbogenfenstern und der massiven Eichentür vorbei, beschreibt eine Kurve auf die offenen Ställe zu, die als Garage genutzt werden, und endet vor dem ehemaligen Kutschenhaus. Es ist zu einem Gästehaus für den kleinen Teil der Besucher umgebaut worden, die sich lieber selbst versorgen, als im Haupthaus zu wohnen und im Gäste-Speisesaal zu essen. Die Gäste wandern gern über den Küstenweg, besuchen Padstow und nehmen an den täglich stattfindenden Gottesdiensten in der Kapelle teil. Das Gästehaus ist ein ansehnliches Gebäude, das nordwestlich auf die Atlantikküste und das Meer und südöstlich auf den Obstgarten hinausgeht, wo zwischen den Apfelbäumen der Wohnwagen steht.
    Früher einmal hatte sich eine Nonne zur Klausur in den Wohnwagen zurückgezogen; jetzt ist er Jannas Zuhause. Sie kommt das Treppchen herunter, bindet sich einen bunten Seidenschal über ihre Löwenmähne und wappnet sich gegen die kalte Luft. Drinnen, wo die tief stehende Wintersonne durch die Fenster des Wohnwagens strömt, ist es gemütlich warm; das blendend helle Licht scheint auf ihre wenigen kostbaren Besitztümer und lässt die kleine Silbervase, die Clem und Jakey ihr zu Weihnachten geschenkt haben, aufblitzen. Unter den Bäumen hat Janna ein paar blasse, von grünen Äderchen durchzogene Schneeglöckchen gefunden, um sie hineinzustellen; und jeden Morgen, wenn sie sich zum Frühstücken an den kleinen Tisch setzt, sieht sie die zarten Blüten voller Freude an.
    Die
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