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Der Duft des Apfelgartens

Der Duft des Apfelgartens

Titel: Der Duft des Apfelgartens
Autoren: Marcia Willett
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Gras und dem gefrorenen Boden hängen. Vorsichtig fährt Dossie über die kurvenreiche Straße und hält Ausschau nach Eisflächen, die sich gebildet haben können, wo die Sonne den Schnee über Tag aufgetaut hat. Ein Schwarm Stare steigt von einem Feld auf, das hinter der kahlen Dornenhecke liegt. Sie schießen umher wie ein wendiger Fischschwarm, der durch die kalte blaue Luft schwimmt, und lassen sich aufs Geratewohl auf den Telefondrähten nieder wie Noten, die jemand auf ein Notenblatt wirft.
    An der A39 biegt Dossie westwärts nach Wadebridge ab. Sie ist voller Freude über den herrlichen Sonnenuntergang, die goldenen und scharlachroten Wolken, die über den rosigen Himmel ziehen, und den Anblick eines Halbmonds, der schon ziemlich hoch steht und einen einzigen großen Stern hinter sich herzieht. Sie hofft, dass Jakey den Stern sehen kann, denn er liebt das Firmament bei Nacht. Um diese Jahreszeit können sie gemeinsam den Himmel beobachten, bevor er ins Bett muss, und zu seinem vierten Geburtstag hat sie ihm einen Sterngucker-Kuchen gebacken: einen traditionellen Fischauflauf mit ganzen Sardinen, deren Köpfe durch den Teigdeckel schauen. Die Erinnerung an seine Miene, als er die vielen kleinen Sardinen sah, die zum Himmel zu starren schienen, bringt Dossie zum Lächeln; doch gleichzeitig fühlt sie den vertrauten schmerzhaften Stich. Wie traurig – wie traurig und grausam –, dass das Schicksal seine kleinen Gemeinheiten wiederholt; denn genauso, wie Clem seinen Vater nie kennengelernt hat, ist Jakeys Mutter nur Stunden nach seiner Geburt an einer Nachblutung gestorben. Dossie stößt einen tiefen Seufzer aus: Oh, der Schock und der Schmerz sind immer noch frisch. Damals hat sie so sehr versucht, Clem zu überreden, sein gerade begonnenes Theologiestudium am St. Stephen’s House in Oxford nicht abzubrechen, und ihm angeboten, zu ihm zu ziehen und ihm bis zu seiner Priesterweihe den Haushalt zu führen. Angefleht hatte sie ihn, er möge ihr erlauben, sich um Jakey zu kümmern, entweder in Oxford oder in ihrem Elternhaus in Cornwall.
    »Mo und Pa würden gern helfen«, sagte sie. »Er ist schließlich ihr Urenkel, Clem. Sie haben mir geholfen, dich großzuziehen, und jetzt könnten sie das Gleiche für Jakey tun.«
    Es war sinnlos gewesen. Höflich, aber standhaft hatte er sich geweigert, auf seine Tutoren und seinen spirituellen Ratgeber zu hören, die ihn von seiner Berufung zu überzeugen versuchten und ihm erklärten, sein Kummer mache ihn blind für seine wahre Bestimmung. Er nahm seinen lukrativen Computer-Job in London wieder auf, arbeitete zu Hause in ihrer kleinen Wohnung, stellte ein Kindermädchen für Jakey ein und kümmerte sich, so gut er konnte, um seinen kleinen Sohn.
    Dossie wusste ganz genau, dass Clem nicht von ihr verlangen wollte, ihre eigene Arbeit – sie hatte sich mit einem Partyservice selbstständig gemacht – aufzugeben oder die Kontakte und den Ruf aufs Spiel zu setzen, deren Aufbau sie an der hohen, windumtosten Atlantikküste so viele Jahre gekostet hatte. Und Mo und Pa waren nicht mehr jung. Er müsse für sich selbst und Jakey einstehen, hatte er gesagt. Aber sie wusste, dass er den Gedanken hasste, an den Ort zurückzukehren, wo er zuerst das empfunden hatte, was er einmal in ungläubigem Staunen als »Gottes drängenden Ruf« beschrieben hatte.
    Jetzt hat Dossie die New Bridge vor sich, die den Camel-Fluss überspannt. Es herrscht Ebbe, und nur ein silbriges Rinnsal durchzieht das Flussbett. Kleine Boote liegen an ihren Ankerplätzen leblos in dem blassen, schimmernden Schlamm und warten darauf, dass der Pulsschlag des Ozeans ihnen erneut Leben einhaucht. Sie fährt über die Brücke, vorbei an Wadebridge und der flussaufwärts gelegenen alten Brücke, biegt von der A39 ab und schlägt die Straße nach Padstow ein. Dabei denkt sie an Clems Anruf vor etwas über einem Jahr.
    »In der Church Times steht ein Stellenangebot«, hatte er gesagt. »Es ist irgendwo in deiner Nähe, in einem Ort namens Peneglos. Darin steht: Kräftige Hand zur Bewirtschaftung von zweieinhalb Hektar Land gesucht, zusätzlich einige Wartungsarbeiten. Niedriges Gehalt, aber mietfreie Wohnung in einem Nebengebäude mit drei Zimmern. Ein anglikanisches Kloster.«
    Seine Stimme, die schroff, aber merkwürdig begierig klang und sie geradezu zu einer Bemerkung herausforderte, verschlug ihr einen Moment lang die Sprache. Sie hatte keine Ahnung gehabt, dass er die Church Times immer noch las.
    »Das muss
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