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Der Duft des Apfelgartens

Der Duft des Apfelgartens

Titel: Der Duft des Apfelgartens
Autoren: Marcia Willett
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Glorienschein hinter sich herzieht; aber sie ist trotzdem eine entfernte Verwandte von ihm, das menschliche, fehlbare Gesicht der Liebe.
    Mit einem tiefen Seufzer hebt Jakey die Beine vom Sofa, sodass er eine Rolle rückwärts beschreibt, und steht auf. Er geht zum Bücherregal hinüber und sieht zu Tante Gabriel hoch, die ihn mit ihrem leicht schiefen Stickseide-Lächeln freundlich anlächelt. Er möchte nicht, dass sie in die weiche Stoffhülle eingerollt wird, die ihr empfindliches Kleid und die wattierten Flügel schützt. Ihre Goldkrone wird getrennt verpackt, und dann wird alles in eine große Plastiktüte gesteckt und in die Schublade der alten Kommode gelegt. Weihnachten soll nicht vorbei sein. Jakey ist zutiefst unglücklich. Mutwillig tritt er gegen das Bücherregal, stößt sich den Zeh in dem weichen Lederhausschuh an der Ecke an und spürt einen scharfen Schmerz. Seine Mundwinkel ziehen sich nach unten, und er beschließt, ein bisschen zu weinen, obwohl er weiß, dass er jetzt ein großer Junge ist; er wird schon fünf. Versuchsweise stößt er einen Schluchzer aus, lauscht ihm interessiert nach und kneift die Augen zusammen, um eine Träne hervorzuquetschen.
    Clem beobachtet seinen kleinen Sohn von der Tür aus. Sein Herz zieht sich in einer Mischung aus Mitgefühl und Belustigung zusammen.
    »Rate, wer am Telefon war«, sagt er. Als Jakey seine Stimme hört, fährt er zusammen und dreht sich schnell um. »Dossie«, erklärt Clem. »Sie ist auf dem Weg hierher, und sie bringt etwas Besonderes mit.«
    Jakey zögert bedrückt. Er streckt immer noch die Unterlippe vor und ist nicht wirklich bereit, sich aus seinem Selbstmitleid reißen und aufheitern zu lassen.
    »Wasss denn?«, fragt er und tut, als wäre er nicht besonders interessiert. »Wasss bringt sie mit?«
    »Das ist ein Geheimnis.« Clem setzt sich und zieht einen in leuchtenden Farben gestrickten Hasen mit langen Ohren und Schlenkerbeinen auf sein Knie. »Stimmt’s, Streifenhase? Ein Geschenk zum Dreikönigstag. Etwas, das du noch hast, wenn der Schmuck abgenommen ist.«
    Jakey schaut sich im Zimmer um und sieht die Heilige Familie an, den glitzernden Baum und Tante Gabriel. Er zögert und geht mit sich zurate, aber Clem entdeckt Anzeichen dafür, dass er schwächelt, und dankt seiner Mutter im Stillen für ihre Idee.
    »Er ist schrecklich niedergeschlagen«, hat er ihr am Telefon erklärt. »Er kann den Gedanken nicht ertragen, dass Weihnachten vorbei ist, und ich kann ihm nicht wirklich begreiflich machen, dass wir den ganzen Schmuck abnehmen müssen. Das wird ein schlimmer Abend.«
    »Armer Schatz«, sagte sie. »Er hat mein tiefstes Mitgefühl. Ich hasse es auch. Aber ich habe einen Plan. Soll ich nicht kommen und etwas mitbringen? Den Schokoladenkuchen, den ich heute Morgen gebacken habe, und etwas aus meiner Geschenkeschublade? Ich habe eine von diesen Figuren aus Thomas, die kleine Lokomotive . James, glaube ich. Oder doch Edward? Jakey wird es wissen. Wir haben eine Geschichte darüber gelesen.«
    Clem zögerte. »Er hat schon so viel zu Weihnachten bekommen, Dossie. Ich will ihn nicht verwöhnen.«
    »Ach, Liebling. Eine kleine Lok. Weißt du noch, wie du dich früher gefühlt hast? Außerdem können wir Jakey gar nicht verwöhnen. Dazu ist er viel zu ausgeglichen. Ein Geschenk zum Dreikönigstag. Was meinst du?«
    »Okay. Warum nicht? Bekomme ich auch eins?«
    »Auf gar keinen Fall. Du bist nicht annähernd so ausgeglichen wie Jakey, und ich kann es nicht riskieren, dich in deinem reifen Alter noch zu verwöhnen. Aber du kriegst Kuchen. Bis gleich.«
    Jetzt schlendert Jakey heran und lehnt sich an Clems Knie. Er dreht die langen, weichen Ohren des Streifenhasen und lässt sich zum Nachgeben überreden.
    »Wann kommt Dosssie denn?«
    »Bald.« Clem schaut zur Uhr hoch: Die Fahrt von St. Endellion nach Peneglos dürfte ungefähr eine halbe Stunde dauern. »Lass uns noch schnell einen kleinen Spaziergang unternehmen, bevor es dunkel wird. Du kannst dein neues Fahrrad mitnehmen und den Streifenhasen auf den Gepäckträger setzen.«
    Jakey kräht vor Freude und rennt zur Tür. Er hat seine gute Laune wiedergefunden.
    »Zieh Stiefel an«, ruft Clem. »Und deinen Mantel. Warte, Jakey! Warte , habe ich gesagt …«
    Bald gehen sie zusammen in den winterlichen Sonnenuntergang hinaus.
    Dicker Reif liegt über den Straßengräben und hat die rot, gelb und violett gefleckten Brombeerblätter gefrieren lassen, die über dem verblassten, schlaffen
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