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Der Duft des Apfelgartens

Der Duft des Apfelgartens

Titel: Der Duft des Apfelgartens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Willett
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schweigsam. Janna und Penny dagegen müssen während der Zubereitung des Essens oft verärgerte Ausrufe oder Gelächter dämpfen, wenn sie sich gegenseitig im Weg stehen, die Kartoffeln anbrennen oder einen Teller fallen lassen. Wenn Schwester Emily leise hinter ihnen eintritt, lächelt sie oft; aber Schwester Ruth steht solchen Ausbrüchen weniger verständnisvoll gegenüber. Der gleichmütige Blick aus ihren hellen Augen ruft die beiden Frauen sehr schnell wieder zur Ordnung, und Emilys dunkle Augen ziehen sich dann mitfühlend zusammen.
    An ihrem freien Nachmittag kommt Schwester Emily oft auf eine Tasse Tee in den Wohnwagen im Obstgarten. Die Schwester liebt das Leben mit einer für ihre zweiundachtzig Jahre erstaunlichen Leidenschaft. Angesichts eines besonderen Kuchens oder der Vielfalt von Jannas Früchtetees blitzen ihre Augen.
    »Echinacea und Himbeere«, murmelt sie. »Kamille, Zitrone und Minze. Wie köstlich! Wofür soll ich mich nur entscheiden?«
    Zum ersten Mal seit Jahren lebt Janna unter Frauen, die sogar noch weniger ihr Eigen nennen als sie selbst. Hier braucht sie ihren Mangel an Besitz nicht zu rechtfertigen; er erscheint sogar als Tugend. Sie hat Schwester Emily ihre kleine Sammlung von Schätzen gezeigt: die Peter-Hase-Tasse, das Buch Little Miss Sunshine von Roger Hargreaves und den fadenscheinigen indischen Seidenschal.
    »Meine Mum hat mir die Sachen geschenkt, als ich klein war«, sagte sie, als müsste sie sich rechtfertigen. »Sie hat mich geliebt, verstehen Sie, obwohl sie sich von mir trennen musste. Sie hat mir Sachen gekauft und mich ›ihre kleine Miss Sunshine‹ genannt. Sie wollte mich nicht verlassen, aber sie war wirklich krank.«
    Die Ältere nickte verständnisvoll und betrachtete die Schätze mit nachdenklichem Blick. Dann lächelte sie Janna zu. »Wenn Sie sie nicht mehr brauchen, werden Sie frei sein«, sagte sie. Sie klang ermunternd, beinahe frohlockend, als wäre es selbstverständlich, dass Janna auf dieses aufregende und lohnende Ziel hinarbeite.
    Ihre Worte verblüfften Janna. Sie war daran gewöhnt, dass andere Menschen sie freundlich zu trösten versuchten, ihr erklärten, sie könnten nachvollziehen, wie wichtig ihr diese Symbole seien.
    Aber Schwester Emily scheint da ganz anders gestrickt zu sein. Janna denkt häufig darüber nach. Die Reaktionen der Schwester sind oft unerwartet.
    Clem lenkt ihre Aufmerksamkeit auf ein kleines Stück Papier, das auf dem Brotschneidebrett liegt. Eine Nachricht. Unwillkürlich lächelt Janna: Die Schwester teilen einander so vieles über Zettel mit. Sie horten kleine Stücke Papier, von einem Brief abgerissen; die Rückseiten gebrauchter Briefumschläge, Quittungen. Nichts wird verschwendet. Zusammengefaltete Nachrichten werden unter Türen hindurchgeschoben, auf Betten oder die Bänke in der Kapelle gelegt. Clem sieht Janna über die Schulter, und sie lesen die Nachricht zusammen.
    Penny fühlt sich nicht wohl , steht da in Mutter Magdas krakeliger Handschrift. Die Suppe habe ich schon aufgesetzt. Kommen Sie auch zurecht, liebe Janna?
    Es muss schwierig für die Nonnen sein, überlegt Janna, so abhängig zu sein, nachdem sie früher so autark waren.
    »Gemüsesuppe?«, flüstert Clem ihr ins Ohr und deutet mit einer Kopfbewegung auf seine Mitbringsel: Möhren, Zwiebeln, Kartoffeln und ein paar Porreestangen.
    Sie nickt und dankt ihm mit einem Lächeln, und er geht wieder an seine Arbeit, während sie das Gemüse zum Spülbecken trägt und beginnt, es unter dem Wasserhahn zu waschen.
    Eine Woche später türmen sich über dem Meer im Westen graue Wolken auf. Hoch aufragend und überquellend rasen sie, angetrieben von heftigen Winden, die auf die Halbinsel eindringen, auf die Küste zu. Eis schmilzt, verwandelt sich in Wasser und beginnt zu tropfen. Die Sonne wird blass und ist nur noch eine zitronenfarbene Scheibe hinter den vorrückenden dünnen Wolkenschleiern, und schließlich verlischt sie ganz. Tiefe, betonharte Fahrrinnen erweichen rasch und verwandeln sich in dichten, schweren Schlamm; Flüsse und Wasserläufe steigen und ergießen sich donnernd durch ihre steinigen Betten.
    Die Fenster des Pförtnerhäuschens rappeln im Sturm, und die Bäume knarren und schütteln sich und beugen sich mit winterkahlen Ästen über die Kaminaufsätze. Jakey, der am Küchentisch seinen Nachmittagsimbiss isst, sieht in den dunklen, nassen Garten hinaus. Die Vorhänge sind noch nicht zugezogen, und der helle Innenraum spiegelt sich in dem

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