Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rock-and-Roll-Zombies aus der Besserungsanstalt

Rock-and-Roll-Zombies aus der Besserungsanstalt

Titel: Rock-and-Roll-Zombies aus der Besserungsanstalt
Autoren: Bryan Smith
Vom Netzwerk:
1: Durch die Nacht
    (On Through the Night; Def Leppard, 1980)
    17. November 1987
    Regen peitschte über den zunehmend dunkleren Himmel. Ein gleißend heller Blitz folgte auf einen gewaltigen Donnerschlag. Die brodelnde Erschütterung gabelte sich, bevor sie auf dem Boden aufschlug – zwei grellweiße Hiebe am stürmischen Horizont. Für Wayne Deveraux sah es aus, als führe Gott höchstpersönlich Krieg gegen die Erde. Das harte Trommeln des Regens auf das Dach seines Jeep Cherokee glich dem unbarmherzigen Popp-popp-popp von Schnellfeuerwaffen auf einem Schlachtfeld. Nicht dass er aus erster Hand gewusst hätte, wie sich so etwas anhörte. Es waren die späten 1980er. Groß angelegte, bewaffnete Auseinandersetzungen auf blutgetränkten Schlachtfeldern und Kontinenten gehörten der Vergangenheit an. Wenn tatsächlich noch einmal ein Krieg ausbrechen sollte, würden sich die Vereinigten Staaten und die Russen eher gegenseitig mit Atombomben aus dem Verkehr ziehen. Danach würde die menschliche Rasse Geschichte sein.
    Aber er hatte sich Platoon und Full Metal Jacket viele Male angesehen. Und die Schusswechsel in diesen Filmen klangen auf unheimliche Weise so wie das, was er gerade hörte. Er stellte sich vor, wie er selbst als Militärpolizist durch die Straßen eines vom Krieg verwüsteten Saigon rauschte, während die Nordvietnamesen die Stadt in den letzten Tagen vor ihrem endgültigen Untergang abriegelten. Das Krachen und Brausen des Donners verschmolz in seinem Kopf mit dem Geräusch von schwerem Artilleriebeschuss.
    Als Untermalung stellte er sich die klagende Spannung eines Hendrix-Songs vor. Massive Gitarrenriffs wie der Schrei eines Gottes. Alle guten Vietnamstreifen setzten auf eine Dosis Hendrix. Jimi oder die Doors. Waynes Musikgeschmack tendierte mehr zu modernerem Kram. Metal und Glamrock. Ein bisschen Punk. Guns N’ Roses und Faster Pussycat, Motörhead und die Sex Pistols. The Cult. Aber ja, so ein Groove von Hendrix erschien ihm jetzt gerade besonders passend. Dazu ein oder zwei Züge von dem veredelten Marihuana, das Steve Wade dabeihatte, und die Illusion wäre perfekt.
    Dann schälten die Scheinwerfer des Cherokee auf der rechten Straßenseite ein großes Schild aus der Dunkelheit heraus.
    Die Vietnam-Fantasie löste sich in ihre Einzelteile auf, als er sich hinter dem Steuer aufrichtete. Er versetzte Steve einen Schlag gegen den Arm und sagte: »Yo! Wach auf, Bruder. Wir sind da!«
    Steve stöhnte und schüttelte den Kopf. Seine Augenlider flatterten und er lehnte sich nach vorne und schielte auf das Schild. »Yeah. Das ist es, Mann.« Er förderte ein kleines Fläschchen Southern Comfort aus einer Innentasche seiner Jeansjacke zutage und drehte den Verschluss ab. »Der verfickte Laden sieht verdammt gruselig aus. Wie zum Teufel sollen wir sie hier rausholen?«
    Auf dem großen weißen Schild stand: MUSIKALISCHE UMERZIEHUNGSANSTALT SOUTHERN ILLINOIS.
    Darunter stand eine Telefonnummer für Terminvereinbarungen.
    Während er das Schild las, lief Wayne ein Schauer den Rücken hinab. Die Nachfrage war so immens, dass viele dieser Einrichtungen lange Wartelisten führten. Die MUSI nahm für sich in Anspruch, Teenager vom Metal zu heilen, sie zu »demetallisieren«. Den Kids wurde ihre Liebe für Metal aus dem Hirn getrieben und ihre Seele von dem vermeintlich bösen Anstrich der Musik gereinigt.
    Drei oder sechs Monate später – das hing ganz von Programm und Einrichtung ab – wurden sie zu »Absolventen« erklärt und durften in die normale Welt zurückkehren, in Erwartung, dass sie dort als verdienstvolles, produktives Mitglied der Gesellschaft ein langes und stinklangweiliges Leben führten. Ein paar von Waynes Freunden hatten solche Programme durchgemacht. Sie gingen als düstere, trotzige Rebellen hinein und kamen als geschniegelte, frisch lackierte kleine Roboter in adretter Montur wieder heraus. Verschwunden waren sämtliche Piercings und Tätowierungen, die langen Haare wurden rabiat geschoren. Und wenn sie redeten, plapperten sie wie ein Papagei die Inhalte ihres Umerziehungsprogramms nach. Es war, als würden Kassettenrekorder aus Fleisch und Blut ihre Platte abnudeln. Verdammt unheimlich.
    Wayne hatte Glück. Bei seinen Eltern handelte es sich um Rock-and-Roll-hassende Fundamentalisten. Sie besaßen auch einige Macken und merkwürdige Angewohnheiten, die er nicht ganz verstand, aber sie waren so weit ganz erträglich. Religiös, aber keine Eiferer. Er dankte Gott jeden Tag
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher