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Der Dreissigjaehrige Krieg

Der Dreissigjaehrige Krieg

Titel: Der Dreissigjaehrige Krieg
Autoren: Dietmar Pieper Johannes Saltzwedel
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Das »demografische Desaster« habe mancherorts die Einwohnerzahlen halbiert; die deutlich gesunkene Nachfrage drückte vielerorts bedrohlich den Getreidepreis, und von raschem Aufschwung oder gar einem Nachkriegsboom, so belegen neuere Studien, kann keine Rede sein. Doch unbestellte Äcker fanden auch wieder neue Besitzer, und ein tüchtiger Tagelöhner oder entlassener Söldner konnte nun vielerorts schneller zu Grundbesitz und Ansehen kommen als zuvor. Auch in der Verwaltung, an Höfen und im technischen Gewerbe bot sich Gelegenheit zum Aufstieg. Nur im Nordosten setzte sich gegen das frühere freie Bauerntum die knechtende Gutswirtschaft durch.
    Kulturell brachten die enormen Sachzwänge natürlich oft Stagnation mit sich, aber das handfeste Grauen forderte Denker, Dichter, Maler und Musiker auch heraus. Heinrich Schütz, Chef der Dresdner Hofkapelle, musste wie viele Kollegen ertragen, dass Militärausgaben den Komponier-Etat schmälerten; um so innigere Harmonien ließ er sich für seine zahlreichen Klage-, Trost- und Andachtspsalmen einfallen.
    Die 1617 in Weimar gegründete »Fruchtbringende Gesellschaft«, die neben anderen »alten deutschen Tugenden« vor allem das Sprachgefühl beleben wollte, förderte dank ihrer standesübergreifenden Ideale sogar das internationale Miteinander. Selbst der kaiserliche Feldherr Octavio Piccolomini, ein gebürtiger Florentiner, und Schwedens Kanzler Axel Oxenstierna wurden unter den Namen »Der Zwingende« und »Der Gewünschte« in den poetisch-gelehrten »Palmenorden« aufgenommen. Künstlerisch galt bußfertige Einkehr als Gebot der Stunde. Der schon vorher erfundene niederländisch-calvinistische Bildtyp des »Vanitas«-Stilllebens, ein weltliches Andachtsgemälde, das mit Totenschädeln, einer niedergebrannten Kerze oder einem Stundenglas die Kürze und Flüchtigkeit des Lebens symbolisierte, war gefragt wie selten zuvor. Neben allen Jenseits-Sorgen ging es um sehr konkrete Ängste: Stand nicht das gute Auskommen der europäischen Mittelschicht insgesamt auf dem Spiel?
    Schon viele Historiker haben herausgestellt, dass der Krieg tatsächlich schwere Rückschläge für die bürgerliche Zivilisation mit sich brachte, gerade auch auf geistigem Gebiet. »Die spontane, lebensvolle Kunst der städtischen Gemeinschaft machte der gezwungenen, verfeinerten Kultur der kleinen Fürstenhöfe Platz« – so hat die Britin Veronica Wedgwood den stilistischen Unterschied zwischen Vor- und Nachkriegszeit zu beschreiben versucht. Frankreich habe fortan das Muster nobler Gestaltung geliefert, von der Schloss- und Parkarchitektur über Druckkunst und Mobiliar bis zum Reifrock. Dem steht entgegen, dass Barockpoeten, meist aus dem Großbürgertum, gerade im Tumult des Krieges die sprachliche Kraft des Deutschen neu entdeckten. Selten sind zum Beispiel so ergreifende Sonette gedichtet worden wie die »Tränen des Vaterlandes«, das der hochgebildete Jurist Andreas Gryphius 1636 »ganz, ja mehr denn ganz verheeret« sah.
    Es war auch kaum ein bloßer Zufall, dass mitten in den bösen Jahren des Krieges Forscher wie Galileo Galilei die neuzeitliche Experimentalphysik durchzusetzen begannen und René Descartes eine rationalistische Teilung der Welt in Materie und Geist vorschlug. Gegen die eitle Hoffnung, auf dem Schlachtfeld Sieger zu bleiben, und die hetzerisch-wirren Töne von vielen Kanzeln setzten Europas Intellektuelle mehrheitlich auf nüchterne Rechts- und Denkregeln, in denen die Freiheit des Einzelnen gestärkt wurde. Am ehesten für krisenfest hielten die desillusionierten Theoretiker Prinzipien, die unmittelbar aus der Natur ableitbar erschienen. Desillusionierung, erlitten oder erstrebt, ist als Leitthema der Epoche an vielen Stellen herauszuhören. Wie Shakespeare oder sein großer spanischer Zeitgenosse Lope de Vega die Welt auf der Theaterbühne als tragikomisches Narrenhaus porträtiert hatten, so zeigten die niederländischen Maler Rubens und Rembrandt bei allem bestellten Pomp immer auch die Hinfälligkeit irdischer Güter. Gegen die umfassende Ernüchterung half höchstens galanter Zeitvertreib, zum Beispiel die von Italien aus verbreitete Schäfermode mit ihren Utopien natürlicher Gleichheit in idyllischer Parklandschaft.
    Selbst auf diplomatischem Parkett brachte das jahrelange blutige Ringen ein bedeutsames Umdenken in Gang: Indem der Westfälische Frieden die Gleichrangigkeit souveräner Mächte herausstellte, habe er geradezu »stilbildend« gewirkt, erklärt der in
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