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Der Dreissigjaehrige Krieg

Der Dreissigjaehrige Krieg

Titel: Der Dreissigjaehrige Krieg
Autoren: Dietmar Pieper Johannes Saltzwedel
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analytischen Blick erklärlicher zu machen. Leicht ist das nicht, denn kaum eine Epoche bleibt auch bei näherer Betrachtung so verwickelt wie diese. Experten gliedern die einschüchternd komplexe Ereignisvielfalt darum heute je nach Ansatz
    •regional: Gegen den spätestens seit 1635 erkennbaren Korridor erheblicher Verwüstungen, der sich von Südwestdeutschland bis an die mecklenburg-pommersche Ostseeküste erstreckte, hoben sich viele weithin unbehelligte, ja florierende Landstriche zwischen Nordwestdeutschland und Kärnten ab, und außerdem gab es heikle Gemengelagen wie in Oberitalien oder Polen;
    •nach Ursachen und Interessen: Von der Zuspitzung konfessioneller Gegensätze bis zum knallharten Profitdenken cleverer Söldnerführer, von schlechten Ernten bis zur globalen Großmachtpolitik etwa des Hauses Habsburg kann man für jede Partei und jeden Akteur des Dramas, ja sogar für seine Opfer ein individuelles Geflecht der Motive und Ziele aufschlüsseln;
    •zeitlich: Die Rekonstruktion des Wegs von der Frühphase über die Ausweitung zur europäischen Dauerkrise mit Beteiligung Schwedens, Frankreichs, Spaniens und weiterer Mächte bis zu den späten Jahren bleibt die klassische Methode, der chaotisch anmutenden Fülle Herr zu werden.
    In einem Punkt sind alle Forscher einig: Den Krieg als böse Macht darzustellen, die »aus den tiefsten Untergründen der Zeitseele hervorbrechend« schließlich »wahllos überallhin züngelt«, wie einst der große Essayist Egon Friedell schrieb, hat mit wissenschaftlicher Erkenntnis nichts zu tun. Mag auch auf den ersten Blick seine Beobachtung einleuchtend erscheinen, dass sich im Verlauf der Krise etwas »Amorphes, Asyndetisches, Anekdotisches« zeige, ein Wust von Einzelgeschichten ohne höhere Logik; mag es tatsächlich viele zweitrangige »Genrefiguren und Chargenspieler« gegeben haben, ja oft der pure Zufall am Werk gewesen sein: Friedells Beschränkung auf wolkige Stimmungsbilder und nur zwei dubiose »Helden«, Wallenstein und Gustav Adolf, erweist sich selbst bei größtem Wohlwollen als irreführend.
    Gegen solch eingängige, schwer ausrottbare Mythen setzen heutige Historiker den nüchternen Blick auf Strukturen, zum Beispiel das verschachtelte Gebilde des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation: Kurfürsten, Fürsten und die Reichsstände (Adel, Geistlichkeit und freie Reichsstädte) berieten und verabschiedeten im Reichstag die Gesetzesinitiativen der vom Kaiser ernannten Regierung, zehn Reichskreise unter gewöhnlich zwei Landesherren sorgten regional für Ordnung; Streitfälle entschied das Reichskammergericht. Auch ein Reichsheer gab es schon seit dem 15. Jahrhundert – allerdings nahezu ausschließlich für den Verteidigungsfall.
    Zum Glück war dieses kaum allzu flinke, dafür flexible Netz von Institutionen seit dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 in einer Periode relativer Ruhe mit stetigem wirtschaftlichem Aufstieg nicht überdehnt worden. Ringsum hatte es desto mehr blutige Auseinandersetzungen gegeben: Im Ostseeraum rangen die Königreiche Polen, Dänemark, Schweden und Russland trotz der Verwandtschaft etlicher Herrscher seit Jahrzehnten militärisch um die Macht, speziell um Livland. In den Niederlanden schwelte oder tobte seit 1564 der Widerstand gegen das spanische Regiment. Und Frankreich war von 1562 an immer wieder durch Hugenottenkriege erschüttert worden. Nachdem das Konzil von Trient (1545 bis 1563) die katholische Kirche gegenreformatorisch auf Kurs gebracht hatte, waren in Europa immer deutlicher zwei große konfessionelle Lager erkennbar geworden: Habsburg, dessen beide Zweige Österreich und Spanien auch Italien weitgehend kontrollierten, bildete in Dauer-Rivalität mit Frankreich die katholische Bastion. Gegen den römischen Primat standen eine große Zahl deutscher Souveräne, die skandinavischen Länder, das anglikanisch gewordene England sowie die Reformierten in den Niederlanden und anderswo.
    Übersichtlich war die Lage damit freilich keineswegs; jede Macht und Gruppierung suchte hektisch ihren Vorteil. Im Reich, wo religiöse Zersplitterung und politische Kleinteiligkeit besonders eng zusammenhingen, blockierte der Bekenntnisgegensatz Ende des 16. Jahrhunderts schon große Teile der politischen Arbeit; spätestens als 1608 die calvinistische Kurpfalz mit anderen Abordnungen im Protest den Reichstag verließ, wuchs sich die Stagnation zur Krise aus. So formierte sich nun eine protestantische »Union« – pikanterweise
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