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Der Dreissigjaehrige Krieg

Der Dreissigjaehrige Krieg

Titel: Der Dreissigjaehrige Krieg
Autoren: Dietmar Pieper Johannes Saltzwedel
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Machtbereich. Und 1648 hört der Krieg keineswegs auf: Bis zum Nürnberger Exekutionstag blieben viele Truppen stationiert, was dort praktisch den Kriegszustand verlängerte, so dass man in einigen Gegenden erst 1650 Frieden gefeiert hat. Aber der Name ist nun einmal griffig und hat sich etabliert; kein anderer Vorschlag konnte sich dagegen durchsetzen.
    SPIEGEL: Der Prager Fenstersturz, der als Auslöser des Krieges gilt, wäre somit ein eher willkürlich gewähltes Datum?
    SCHMIDT: Naja, schon die Zeitgenossen sahen darin ein Fanal. Aber was hat Prag mit dem Reich zu tun, wo dann später der Krieg stattfand? Der böhmische Konflikt, der zum Fenstersturz führte, wäre regional lösbar gewesen.
    SPIEGEL: Wenn Sie schon den Ausbruch der Krise nicht genau auf 1618 datieren mögen: Wie braut sich die Sache denn zusammen, welche unheilvollen Faktoren sehen Sie am Werk?
    SCHMIDT: Die These vom langen Anmarsch zum Krieg ist selbst schon klassisch. Ich bin da aber skeptisch. Seit 1555 gab es den Augsburger Religionsfrieden, der im komplex aufgebauten, nicht absolut beherrschten Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation sehr gut funktionierte: Jeder Reichsstand durfte seine Konfession frei wählen. Während in den Niederlanden der religiös grundierte Freiheitskampf gegen Spanien tobte, während Frankreich von Bürger- und Religionsaufruhr erschüttert wurde und auch anderswo Unruhen aufflackerten, herrschte im Reich, in der Mitte Europas, Frieden.
    SPIEGEL: Warum blieb es nicht so?
    SCHMIDT: Die Generation von 1555 trat ab; in der nächsten verhärteten sich die Fronten, und das Denken an den eigenen Vorteil gewann die Oberhand. Festzuhalten ist: Es gab viele Krisensymptome. Nach Krieg sah es trotzdem lange nicht aus – am ehesten hätte dieser 1610 ausbrechen können, als der französische König zum Einmarsch ins Reich bereitstand. Aber Heinrich IV . kam durch ein Attentat ums Leben, und so rettete man sich von einer Krise in die nächste, trotz blockierter Reichsinstitutionen und eines so parteiisch erscheinenden Kaisers, dass Protestanten ihn kaum als ihren Regenten anerkennen mochten.
    SPIEGEL: Welche Rolle spielten Klima, Demografie, Wirtschaftsengpässe, Mentalitäten?
    SCHMIDT: Der Klimaabschwung seit etwa 1560 ist nachweisbar: Niedrigere Temperaturen über Jahrzehnte führten zu schlechteren Ernten mit zu wenig Nahrungsüberschuss, und dies – Stichwort Demografie – bei steigenden Bevölkerungszahlen. Was dem Bauern durch den Zehnt und andere Abgaben fehlte, konnte der Zehntherr jetzt wegen der Lebensmittelknappheit besonders gewinnbringend verkaufen, so dass sich die Schere zwischen Arm und Reich weiter öffnete. So etwas kann durchaus Mentalitäten verhärten. Aber nichts davon löste ursächlich den Krieg aus. Aufstände und Tote aus wirtschaftlicher Not gab es zum Beispiel erst nach dem Prager Fenstersturz, als massive Münzverschlechterungen durch die sogenannten Kipper und Wipper zu Hungerunruhen führten. Die Geistlichen, die trotz aller politischen Toleranzgebote den Konfessionshass weiter schürten, waren für den Krieg und dessen Dauer weitaus wichtiger.
    SPIEGEL: Also hat Friedrich Schiller doch recht, der hier in Jena Geschichte lehrte und den Krieg aus einem Glaubenskonflikt entspringen ließ?
    SCHMIDT: Religionsgegensätze waren immer zugleich politische Gegensätze, das brauchte Schiller seinen Lesern 1791 gar nicht erst zu sagen. Politik und Religion sind damals so wenig zu trennen wie heute Politik und Wirtschaft. Doch Schiller sah den Krieg vor allem als einen Kampf um die Freiheit – gegen die Unterdrückung des evangelischen Glaubens sowie die Unterjochung durch den Kaiser in Deutschland und für ein freies Staateneuropa.
    SPIEGEL: Hatte vielleicht das Hegemonialstreben der Großmächte, der Streit um ein möglichst großes Stück vom Kuchen Europa, an Stärke gewonnen?
    SCHMIDT: Schwächer geworden war es jedenfalls nicht, aus guten Gründen. Von Paris aus gesehen saßen an allen Grenzen Habsburger – kein behaglicher Zustand. Den Habsburgern wiederum ging es um die katholische Vereinheitlichung unter ihrer Oberhoheit.
    SPIEGEL: Ihr Kollege Johannes Burkhardt möchte den Konflikt möglichst durchgehend als »Staatsbildungskrieg«, als Kampf um neue, unabhängige politische Ordnungen, erklären. Was halten Sie davon?
    SCHMIDT: Die These ist faszinierend und fruchtbar, nur kann man sie nicht verallgemeinern. Für die Niederlande trifft sie sicher zu, dort findet ja wirklich das Experiment
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