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Der Doktor und das liebe Vieh

Der Doktor und das liebe Vieh

Titel: Der Doktor und das liebe Vieh
Autoren: James Herriot
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Siegfried eines Morgens am Frühstückstisch mit rotgeränderten Augen die Post durchsah – er hatte die Nacht bei einer von Koliken geplagten Stute verbracht –, fiel ihm aus einem amtlich aussehenden Umschlag eine Rolle Formulare entgegen. Er stöhnte auf.
    »Allmächtiger Gott! Sehen Sie sich das an!« Er strich die Formulare auf dem Tisch glatt und überflog die lange Liste der Höfe, auf denen Tuberkulinproben durchgeführt werden mußten. »Und wir sollen unbedingt nächste Woche anfangen – im Gebiet von Ellerthorpe.« Er sah mich mit funkelnden Augen an. »Das ist die Woche, in der Sie heiraten, nicht wahr?«
    Ich rutschte auf meinem Stuhl hin und her. »Ja, leider.«
    Aufgebracht klatschte er sich eine Scheibe Toast auf den Teller und bestrich sie mit Butter. »Großartig, wirklich! Ausgerechnet jetzt, wo die Praxis wie verrückt läuft, eine Woche Tuberkulinproben oben im Dale, am Ende der Welt, und dazu dann noch Ihre verdammte Heiraterei. Sie brausen fröhlich ab in Ihre Flitterwochen und kümmern sich um nichts, während ich hier wie ein Irrer in der Gegend herumsause.« Er biß ein Stück von seinem Toast ab und kaute wütend darauf herum.
    »Tut mir leid, Siegfried«, sagte ich. »Es war nicht meine Absicht, Sie im Stich zu lassen. Ich konnte nicht ahnen, daß in der Praxis gerade jetzt soviel zu tun ist, und ich hab nie damit gerechnet, daß man uns diesen ganzen Testkram aufhalsen würde.«
    Siegfried hörte auf zu kauen und deutete mit dem Zeigefinger auf mich. »Genau das ist es, James – Sie blicken nicht voraus. Sie leben gedankenlos in den Tag hinein, selbst wenn es um Ihre eigene Hochzeit geht. Sie denken, es wird schon alles werden, und scheren sich um nichts.« Er hatte sich in seiner Erregung verschluckt und mußte husten. »Ich verstehe auch gar nicht, was diese Eile soll – Sie sind noch jung, Sie haben Zeit genug zum Heiraten. Und im übrigen – Sie kennen das Mädchen doch kaum, Sie sind doch erst seit ein paar Wochen mit ihr befreundet...«
    »Moment, Sie haben doch selbst gesagt...«
    »Lassen Sie mich bitte ausreden, James. Eine Heirat ist ein ernster Schritt, den man sich wohl überlegen sollte. Warum in Gottes Namen muß es nächste Woche sein? Nächstes Jahr hätte es auch noch gereicht, und Sie hätten eine schöne lange Verlobungszeit gehabt. Aber nein, Sie müssen immer alles überstürzen.«
    »Verdammt, Siegfried, das geht zu weit. Sie wissen doch genau, daß Sie derjenige waren, der...«
    »Einen Moment! Ihr übereilter Entschluß macht mir zwar erhebliche Kopfschmerzen, aber glauben Sie mir, ich wünsche Ihnen nur das Beste. Und ich hoffe, es geht alles gut, trotz Ihres Mangels an Vorausschau. Dennoch muß ich Sie an ein altes Sprichwort erinnern: ›Schnell gefreit, lang bereut.‹«
    Ich sprang auf und schlug mit der Faust auf den Tisch.
    »Verdammt!« schrie ich. »Es war doch Ihre Idee! Ich wollte ja noch warten, aber Sie...«
    Siegfried hörte nicht zu. Er hatte sich abreagiert und lächelte jetzt sanft wie ein Engel. »Aber, aber, James, Sie regen sich wieder einmal auf. Setzen Sie sich, beruhigen Sie sich doch. Sie haben ja nichts Unrechtes getan – es ist die natürlichste Sache von der Welt, wenn man in Ihrem Alter in den Tag hinein lebt. Die Sorglosigkeit ist das Vorrecht der Jugend.« Siegfried war ganze sechs Jahre älter als ich, aber er war mühelos in das Gewand des allwissenden Graubarts hineingeschlüpft.
    Ich stand auf und trat ans Fenster. Nach einer Weile drehte ich mich um und sah meinen Chef an. Ich hatte eine Idee. »Hören Sie, Siegfried«, sagte ich, »es würde mir nichts ausmachen, meine Flitterwochen in der Gegend von Ellerthorpe zu verbringen. Es ist wunderschön dort oben in dieser Jahreszeit. Wir könnten im Hotel Wheat Sheaf wohnen, und ich würde von dort aus herumfahren können und die Tuberkulinproben machen.«
    Er sah mich verblüfft an. »Aber... Das ist doch unmöglich – was würde Helen sagen?«
    »Sie hätte bestimmt nichts dagegen. Außerdem könnte sie mir den Schreibkram abnehmen. Wir wollten sowieso nur etwas mit dem Wagen durch die Gegend fahren. Und wir haben schon oft gesagt, daß wir gern einmal ein paar Tage im Wheat Sheaf verbringen würden – ein reizender alter Gasthof.«
    Siegfried schüttelte energisch den Kopf. »Nein, James. Kommt nicht in Frage. Ich werde mit der Arbeit schon fertig. Vergessen Sie es, fahren Sie los und amüsieren Sie sich.«
    »Nein, ich bin fest entschlossen. Und der Gedanke gefällt mir
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