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Der Doktor und das liebe Vieh

Der Doktor und das liebe Vieh

Titel: Der Doktor und das liebe Vieh
Autoren: James Herriot
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sollte.
    Siegfried Farnon. Seltsamer Name für einen Veterinär in den Yorkshire Dales. Wahrscheinlich ein Deutscher, der in unserem Land studiert und dann eine Praxis eröffnet hatte. Ursprünglich war sein Name wohl gar nicht Farnon gewesen; vermutlich Farrenen. Ja, Siegfried Farrenen. Er nahm langsam Gestalt an: klein, fett und rund, mit fröhlichen Augen und einem sprudelnden Lachen. Aber gleichzeitig kämpfte ich gegen die Zwangsvorstellung von einem klobigen, stoppelhaarigen Teutonen mit kalten Augen an.
    Ich bemerkte, daß der Bus eine schmale Straße entlangratterte, die zu einem Platz führte. Dort hielten wir an. Über dem Fenster einer bescheidenen Kolonialwarenhandlung las ich Konsumgenossenschaft Darrowby. Wir waren angekommen.
    Ich stieg aus. Neben meinem abgenutzten Koffer stehend blickte ich mich um. Irgend etwas war ungewöhnlich, aber anfangs wußte ich nicht, was es war. Dann wurde mir klar, was mich befremdete – die Stille. Die anderen Fahrgäste hatten sich zerstreut, der Motor lief nicht mehr, ringsum rührte sich nichts. Das einzige sichtbare Zeichen von Leben waren einige alte Männer, die um einen Uhrturm in der Mitte des Platzes herumsaßen, aber sie hätten aus Stein gemeißelt sein können.
    Über Darrowby las man nicht viel in den Reiseführern, doch wenn es erwähnt wurde, beschrieb man es als eine graue Kleinstadt am Fluß Darrow ohne jede Besonderheit mit Ausnahme zweier alter Brücken. Aber wenn man das Städtchen betrachtete, war seine Szenerie zauberhaft: der Fluß voller Kieselsteine und dahinter die Häuser, dicht zusammengedrängt und unregelmäßig über die unteren Hänge des Herne Fell verstreut. Überall in Darrowby konnte man die stille, grüne Masse des Herne Fell mehr als zweitausend Fuß über den Dächern aufragen sehen.
    Trengate war eine ruhige Straße, die vom Platz abging, und jetzt sah ich zum erstenmal Skeldale House. Ich wußte schon, daß es das richtige Haus war, bevor ich nahe genug war, um S. Farnon, Tierarzt, auf der altmodischen Messingtafel lesen zu können, die ein wenig schief an dem Eisengitter hing. Ich erkannte das Haus an dem Efeu, der sich unregelmäßig an der mürben Backsteinwand emporrankte. Es war genauso, wie es in dem Brief stand – das einzige Haus mit Efeu; und hier würde ich vielleicht zum erstenmal als Tierarzt arbeiten.
    Jetzt, da ich vor der Tür stand, war ich außer Atem wie nach einem schnellen Lauf. Wenn ich die Stellung bekam, würde ich hier herausfinden müssen, was in mir steckte. Es galt so vieles zu beweisen.
    Aber das alte Haus gefiel mir. Es war in georgischem Stil gebaut, mit einem schönen, weiß getünchten Portal. Auch die Fenster waren weiß gestrichen – hoch und breit im Erdgeschoß und im ersten Stock, klein und quadratisch in den Mansarden unter den überhängenden Dachziegeln. Die Farbe blätterte ab, und der Mörtel zwischen den Ziegeln sah bröckelig aus, aber dem Ganzen haftete ein unvergänglicher Charme an. Es gab keinen Vorgarten, nur ein Gitterzaun trennte das Haus von der Straße.
    Ich läutete, und augenblicklich wurde der Nachmittagsfrieden durch fernes Gebell erschüttert. Die obere Hälfte der Haustür war aus Glas, und ich sah, wie sich ein Strom von Hunden um die Ecke eines langen Ganges ergoß und wild kläffend zur Tür raste. Wäre ich nicht an Tiere gewöhnt gewesen, ich hätte kehrtgemacht und Fersengeld gegeben. So aber trat ich behutsam zurück und beobachtete die Hunde, die jetzt hinter der Glasscheibe auftauchten, manchmal zwei zu gleicher Zeit, geifernd mit wilden Sprüngen und wütenden Augen. Nach ein paar Minuten konnte ich sie voneinander unterscheiden und stellte fest, daß ich ihre Anzahl mit vierzehn zu hoch geschätzt hatte. In Wirklichkeit waren es fünf: ein riesiger rehbrauner Windhund, der am häufigsten zu sehen war, da er nicht so hoch wie die anderen zu springen brauchte, ein Cockerspaniel, ein Scotchterrier, ein Whippet und ein winziger, kurzbeiniger Dachshund. Dieser Hund kam selten ins Blickfeld, da die Glasscheibe für ihn ziemlich hoch war, aber wenn ihm ein Sprung gelang, bellte er um so wütender, bevor er verschwand.
    Ich wollte gerade ein zweites Mal läuten, als ich eine dicke Frau in dem Gang sah. Sie rief ein einziges Wort, und der Lärm verstummte augenblicklich. Als sie die Tür öffnete, schmiegten sich die gefräßigen Tiere schmeichelnd an sie, zeigten das Weiße ihrer Augen und wedelten mit eingezogenem Schwanz. Ich hatte noch nie ein so serviles Rudel
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