Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Doktor und das liebe Vieh

Der Doktor und das liebe Vieh

Titel: Der Doktor und das liebe Vieh
Autoren: James Herriot
Vom Netzwerk:
Heuen.«
    Ich pflichtete ihm bei. Er nahm einen weiteren tüchtigen Schluck, verzog das Gesicht, schloß die Augen, schüttelte mehrmals heftig den Kopf und sagte: »Allerdings – eine Nacht Regen könnte nicht schaden.«
    Ich teilte ihm mit, dieser Meinung sei auch ich. Dann herrschte wieder Schweigen. Mr. Alderson trank seinen Whisky aus, als habe er sich inzwischen an den Geschmack gewöhnt.
    Nachdem er schweigend unsere Gläser ein zweites Mal gefüllt und wieder einen Schluck getrunken hatte, blickte er zu Boden und sagte mit leiser Stimme: »James, ich hatte eine, wie es unter Tausenden nur eine gibt.«
    Das kam so unerwartet, daß ich nicht wußte, was ich sagen sollte. »Ja, ich weiß«, murmelte ich. »Ich habe viel von ihr gehört.«
    »Sie war das großartigste Mädchen weit und breit. Und das schönste.« Er sah mich mit dem Anflug eines Lächelns an. »Keiner hätte damals gedacht, daß sie je einen Burschen wie mich nehmen würde. Aber sie hat mich genommen.« Er machte eine Pause und blickte weg. »Ja, sie hat mich genommen.«
    Und dann erzählte er mir von seiner verstorbenen Frau. Er sprach ruhig, ohne Selbstmitleid und voll Dankbarkeit für das Glück, das er erfahren hatte. Und er sprach auch über Helen, über Dinge, die sie gesagt und getan hatte, als sie noch ein kleines Mädchen war, und wie sehr sie in jeder Weise ihrer Mutter ähnelte. Ich spürte, daß er mir mit all dem etwas sagen wollte, auch wenn er nicht direkt auf mein Anliegen einging und mir keinerlei Fragen stellte. Und allein der Umstand, daß er so freimütig sprach, war mir ein Zeichen dafür, daß die Schranken fielen.
    Er hatte inzwischen seinen dritten großen Whisky zur Hälfte getrunken. Nach meinen Erfahrungen vertrugen die Männer aus Yorkshire keinen Whisky – ich hatte erlebt, wie stämmige Burschen, die ohne weiteres ihre zehn Maß Bier bewältigten, nach einem Schluck Whisky zu Boden gingen, und der kleine Mr. Alderson war das Trinken so gut wie gar nicht gewohnt. Ich machte mir Sorgen um ihn.
    Aber ich konnte nichts tun. Er saß jetzt bequem zurückgelehnt auf seinem Stuhl, vollkommen ungezwungen, und hing mit leuchtenden Augen seinen Erinnerungen nach. Tatsächlich hatte er wohl ganz vergessen, daß ich da war, denn als er mich nach einer langen Pause wieder zur Kenntnis nahm, sah er mich einen Moment erstaunt an. Dann schien er sich auf seine Gastgeberpflichten zu besinnen, doch als er wieder nach der Flasche griff, fiel sein Blick auf die Uhr an der Wand.
    »Donnerwetter, schon vier Uhr. Da haben wir aber lange genug gesessen. Lohnt sich ja fast nicht mehr, ins Bett zu gehen. Na, ich denke, wir sollten doch noch ein, zwei Stunden schlafen.« Er kippte den Rest Whisky hinunter, sprang auf, sah sich einen Augenblick geschäftig um, und dann stürzte er plötzlich unter fürchterlichem Getöse kopfüber zwischen die Schüreisen.
    Starr vor Schreck, beugte ich mich über ihn, um ihm zu helfen, aber ich hätte mir keine Sorgen zu machen brauchen, denn ein paar Sekunden später stand er wieder auf den Beinen und sah mir in die Augen, als wäre nichts geschehen.
    »Ja, ich muß jetzt wohl losfahren«, sagte ich. »Vielen Dank für den Whisky.« Ich hatte die Hoffnung aufgegeben, daß Mr. Alderson mich in dieser Nacht noch als Schwiegersohn willkommen hieß. Dennoch hatte ich das tröstliche Gefühl, daß alles gutgehen würde.
    Mr. Alderson machte den ehrenwerten Versuch, mich hinauszubegleiten, aber er schlug die falsche Richtung ein und prallte mit voller Wucht gegen die Küchenanrichte. Verwundert starrte er mich mit großen Augen an.
    Ich zögerte, dann kehrte ich um. »Ich begleite Sie schnell rauf, Mr. Alderson«, sagte ich, und der kleine Mann leistete keinen Widerstand, als ich ihn am Arm nahm und ihn zur Flurtür dirigierte.
    Wir stiegen die knarrende Treppe hinauf. Plötzlich stolperte er, und sicher wäre er die Stufen hinuntergepurzelt, hätte ich ihn nicht mit beiden Armen gepackt. Während ich ihn noch so hielt, sah er mir fest in die Augen. »Danke, mein Junge«, brummte er, und wir grinsten einander einen Augenblick lang an, bevor wir weitergingen.
    Vor der Tür seines Schlafzimmers blieb er zögernd stehen, so als wollte er etwas sagen. Aber schließlich nickte er mir nur ein paarmal zu und schwankte hinein.
    Ich wartete draußen vor der Tür und horchte ängstlich auf das Gepolter drinnen. Doch dann hörte ich ein lautes Summen und atmete erleichtert auf – alles war in Ordnung.

Kapitel 39
     
    Als
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher