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Der Doktor und das liebe Vieh

Der Doktor und das liebe Vieh

Titel: Der Doktor und das liebe Vieh
Autoren: James Herriot
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die andere Seite plumpste, doch nichts schien sich innen verändert zu haben.
    »Wälzt sie auf die Brust«, keuchte ich.
    Stan und Bert rollten die Kuh geschickt herum, im gleichen Augenblick brüllte ich vor Schmerzen. »Rollt sie zurück, schnell! In die andere Richtung!« Das glatte Gewebe hatte sich wie eine Fessel zusammengezogen und hielt mein Handgelenk umklammert.
    Aber die Männer reagierten blitzschnell. Innerhalb weniger Sekunden lag Candy wieder mit ausgestreckten Beinen auf der ursprünglichen Seite. Wir waren wieder da, wo wir angefangen hatten. Ich biß die Zähne zusammen und ergriff wieder den Fuß des Kalbs. »So«, sagte ich, »und jetzt in die andere Richtung!«
    Stan und Bert wälzten die Kuh um 180 Grad herum, aber nichts passierte. Ich hielt mit aller Kraft den Fuß umklammert – diesmal war der Widerstand gewaltig. Ich mußte eine Atempause machen und lag ein paar Sekunden lang schweißgebadet, mit dem Gesicht nach unten da. Dann rief ich: »Noch etwas!« Und die Männer rollten die Kuh noch weiter herum.
    Es war ein herrliches Gefühl, wie sich plötzlich alles auf wunderbare Weise lockerte und löste. Meine Hand lag jetzt frei in einem weiten Uterus, und das Kalb kam mir schon entgegengerutscht.
    Candy begriff sofort, was los war, und jetzt strengte sie sich auch an. Und da sie den Sieg nahe fühlte, unternahm sie noch eine weitere Anstrengung, und das Kalb flog naß und zappelnd in meine Arme.
    »Donnerwetter, das ging zum Schluß aber schnell«, murmelte Mr. Alderson verwundert. Er nahm ein Büschel Heu und trocknete die kleine Kreatur damit ab.
    Dankbar und erleichtert wusch ich mir Hände und Arme in einem der Eimer. Ein Gefühl der Erleichterung hat man nach jeder Entbindung, aber in diesem Fall war es überwältigend.
    Ich sagte Bert und Stan, die sich wieder schlafen legen wollten, gute Nacht. Als sie an mir vorbeigingen, schnupperten sie noch einmal ungläubig. Mr. Alderson redete mit sanfter Stimme auf Candy ein und wandte sich dann wieder dem Kälbchen zu. Er betrachtete es immer wieder verzückt, und ich konnte ihn gut verstehen. Es sah bezaubernd aus, dieses winzige Etwas mit seinen großen dunklen Augen und seinem Ausdruck zutraulicher Unschuld.
    Er hob es hoch, als wäre es ein kleines Hündchen, und legte es neben den Kopf seiner Mutter. Candy beschnüffelte es, brummte glücklich und leckte über seine flaumige Haut. Mr. Alderson stand wie gebannt da, die Hände auf dem Rücken gefaltet, und wippte auf seinen Absätzen vor und zurück. Und dann fing er, wie immer, wenn er sich freute, laut zu summen an.
    Ich wußte, es würde nie eine bessere Gelegenheit geben. Ich hustete nervös, und dann sprach ich mit fester Stimme.
    »Mr. Alderson«, sagte ich, »ich möchte Ihre Tochter heiraten.«
    Das Summen hörte jäh auf. Langsam drehte er sich um und wandte sich mir zu. Er sagte nichts, sondern blickte mir nur ernst in die Augen. Dann beugte er sich steif herab, goß die Eimer aus und ging zur Tür.
    »Kommen Sie mit ins Haus«, sagte er.
    Die Küche wirkte ohne die Familie verloren und verlassen. Ich setzte mich auf einen Stuhl neben dem leeren Kamin. Mr. Alderson stellte die Eimer weg, hängte das Handtuch auf und wusch sich über dem Ausguß die Hände. Dann ging er ins Wohnzimmer hinüber, und ich hörte, wie er sich am Büfett zu schaffen machte. Als er zurückkam, trug er feierlich ein Tablett mit zwei Kristallgläsern und einer noch ungeöffneten Flasche Whisky vor sich her.
    Er stellte das Tablett auf den Küchentisch, zog den Tisch ein Stück zu uns herüber und ließ sich auf dem Stuhl auf der anderen Seite des Kamins nieder. Noch immer schweigend musterte er den Verschluß der Flasche und schraubte ihn vorsichtig ab. Dann füllte er langsam und präzise die Gläser, prüfte mehrmals, ob auch beide das gleiche Quantum enthielten, und schob mir mit einer zeremoniellen Geste das Tablett zu.
    Ich nahm mein Glas und wartete hoffnungsvoll.
    Mr. Alderson blickte ein, zwei Minuten lang in den schwarzen Kamin und richtete dann den Blick auf das Ölgemälde mit den planschenden Kühen, das über dem Kaminsims hing. Er spitzte die Lippen, als wollte er pfeifen, besann sich dann aber offenbar anders und trank ohne ein Prosit einen Schluck Whisky, worauf er einen Hustenanfall bekam, von dem er sich nur langsam erholte. Danach setzte er sich kerzengerade auf, fixierte mich mit wässerigen Augen und räusperte sich. Ich wartete gespannt.
    »Tja«, sagte er, »schönes Wetter zum
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