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Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers

Titel: Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers
Autoren: Lian Hearn
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Kind.«
    Â»Dann musst du mir auch deine Narben zeigen.« Sie zog den Seidenhandschuh ab, den er für gewöhnlich ander rechten Hand trug, und hob die Fingerstümpfe an ihre Lippen. »Habe ich dir vorhin wehgetan?«
    Â»Eigentlich nicht. Es war bloß das Übliche – jeder Schlag erschüttert die Gelenke und weckt den Schmerz.« Er fügte leise hinzu: »Aber vom Schmerz abgesehen ist noch etwas anderes in mir geweckt worden.«
    Â»Das kann ich lindern«, flüsterte sie, zog ihn zu sich heran, öffnete sich ihm, nahm ihn in sich auf, erwiderte sein drängendes Begehren mit dem ihren und verschmolz voller Zärtlichkeit mit ihm. Sie liebte das vertraute Gefühl seiner Haut, seines Haares, seines Duftes, und sie liebte auch das Fremdartige, das jedes Mal, wenn sie miteinander schliefen, eine neue Erfahrung darstellte.
    Â»Du linderst immer meine Schmerzen«, sagte er hinterher. »Du gibst mir das Gefühl, ganz zu sein.«
    Sie lag in seinen Armen, den Kopf an seiner Schulter. Sie ließ ihren Blick durch den Raum schweifen. An eisernen Haltern brannten Lampen, doch der Himmel jenseits der Fensterläden war dunkel.
    Â»Vielleicht haben wir einen Sohn gezeugt«, sagte sie und konnte die Sehnsucht in ihrer Stimme nicht unterdrücken.
    Â»Hoffentlich nicht!«, rief Takeo aus. »Meine Kinder hätten dich zweimal fast das Leben gekostet. Wir brauchen keinen Sohn«, fügte er unbeschwerter hinzu. »Wir haben drei Töchter.«
    Â»Das Gleiche habe ich einmal zu meinem Vater gesagt«, gestand Kaede. »Ich glaubte, es mit jedem Jungen aufnehmen zu können.«
    Â»Shigeko kann das bestimmt«, sagte Takeo. »Sie wird die Drei Länder erben und nach ihr ihre Kinder.«
    Â»Ihre Kinder! Sie kommt mir selbst immer noch vor wie ein Kind, obwohl sie bald alt genug für eine Heirat ist. Ob wir je einen Gatten für sie finden?«
    Â»Da gibt es keinen Grund zur Eile. Sie ist eine Kostbarkeit, ein fast unbezahlbares Juwel. Wir werden sie nicht so einfach fortgeben.«
    Kaede wandte sich wieder dem ursprünglichen Thema zu, als könnte sie nicht davon lassen. »Ich sehne mich so danach, dir einen Sohn zu schenken.«
    Â»Trotz deines Erbes und Lady Maruyamas Vorbild! Du redest immer noch wie die Tochter einer Kriegerfamilie.«
    Dunkel und Stille brachten sie dazu, sich noch weiter zu öffnen. »Manchmal glaube ich, dass die Zwillinge meinen Leib versiegelt haben. Ich glaube, wenn sie nicht geboren worden wären, hätte ich Söhne bekommen.«
    Â»Du gibst zu viel auf das abergläubische Geschwätz alter Weiber!«
    Â»Wahrscheinlich hast du Recht. Aber was soll aus unseren jüngeren Töchtern werden? Sie kommen ja wohl kaum als Erbinnen in Frage, falls Shigeko etwas zustoßen sollte, was der Himmel verhüten möge. Und wen werden sie heiraten? Weder eine Adelsfamilie noch die Familie eines Kriegers wird es riskieren, einen Zwilling aufzunehmen, und dann auch noch jemanden, der den Makel hat – vergib mir –, vom Blut des Stammes zu sein und Fähigkeiten zu besitzen, die so sehr der Hexerei gleichen.«
    Takeo konnte nicht leugnen, dass er sich oft die gleichen Sorgen machte, versuchte aber, sie zu verdrängen. Die Mädchen waren noch so jung – wer konnte wissen, was das Schicksal für sie bereithielt?
    Nach einer Weile sagte Kaede leise: »Vielleicht sind wir beide ja auch schon zu alt. Jeder wundert sich, dass du dir keine zweite Frau oder eine Konkubine nimmst, mit der du noch mehr Kinder bekommen kannst.«
    Â»Ich will nur eine Frau«, sagte er voller Ernst. »Welche Gefühle ich auch vorgetäuscht habe, welche Rollen ich auch gespielt habe, meine Liebe zu dir ist ehrlich und wahr – ich werde nie bei einer anderen liegen als bei dir. Du weißt doch, dass ich Kannon in Ohama etwas gelobt habe. Dieses Gelöbnis habe ich sechzehn Jahre gehalten. Und ich werde es auch jetzt nicht brechen.«
    Â»Ich glaube, ich würde vor Eifersucht vergehen«, gestand Kaede. »Aber angesichts dessen, was wichtig für das Land ist, zählen meine Gefühle nichts.«
    Â»Meiner Meinung nach besteht die Grundlage unserer guten Regentschaft darin, dass wir in Liebe miteinander verbunden sind. Ich werde ganz bestimmt nichts tun, was das gefährdet«, antwortete Takeo. Er zog sie wieder dichter zu sich heran und strich sanft über ihren vernarbten
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